Lauras Bildnis
führte mich die Wendeltreppe hoch wie bei einem Kindergeburtstag, als wären wir beide die Bestraften in einem Pfänderspiel.
Anstatt erstaunt zu sein über die plötzliche Nähe eines fremden Körpers, kam sie mir vor wie ein Aufatmen der Dinge im Raum.
Meine Versuche, mich Laura als guten und erfahrenen Liebhaber zu präsentieren, scheiterten vollkommen; weniger vielleicht an den Überresten von Angst, die sicher trotz der erstaunlichen Vertrautheit zwischen uns noch vorhanden waren, als vielmehr an Lauras schlichtem Verhalten. Wie soll ich es erklären! Lassen Sie mich einen Vergleich riskieren: Laura spielte in der Liebe die Geige ohne Vibrato. Der Ton war klar und eindeutig. Er schwankte nicht wellenförmig um eine Mitte, die die Tonhöhe darstellt. Dies werden manche als Verarmung des Ausdrucks werten. Ich sah darin jedoch jene Ehrlichkeit, die in der Musik so selten ist wie in den übrigen Künsten, die Kunst der Liebe eingeschlossen.
Damals überwältigte mich diese Erfahrung. Ich glaubte, einer unschuldigen Seele begegnet zu sein, die sich mühelos in ihrer körperlichen Sprache ausdrücken konnte. Heute neige ich dazu, in Lauras überzeugender Art zu lieben, in diesem Fehlen jeglicher Künstlichkeit ein zum Äußersten gesteigertes Raffinement zu sehen. Lauras Zärtlichkeiten wirkten dabei vollkommen intuitiv. Es war eine Art komplizierter Unschuld, mit der sie Macht über mich gewann.
Noch etwas möchte ich Ihnen erzählen, Madame und Monsieur, auch wenn ich eine vielleicht altmodische Scheu habe, von solchen Details zu reden. Im Augenblick der größten Auflösung verlor Laura ihr Gesicht. Es wurde leer, konturenlos. Jetzt sah ich, was sie in all ihren Bildern gemalt hatte. Es war dieser Augenblick höchster Erregung, der ihr Gesicht auslöschte zu einem unbemalten Oval.
Irgendwann redeten wir in dieser Nacht und beteuerten uns unsere Liebe in Worten. Doch dies war bereits wie ein Erwachen. Schließlich ging ich gegen Morgen, denn das Bett war zu schmal, um zwei Menschen Schlaf zu erlauben.
Wieder brachte ich es nicht übers Herz, direkt nach Hause zu gehen. Ich mußte die Gentildonna noch einmal sehen. Ich hatte Laura noch nichts von diesem Bild und seiner verblüffenden Ähnlichkeit mit ihr erzählt. Etwas hielt mich zurück. Fürchtete ich, einen Verrat zu begehen, etwas zu riskieren, was meiner Liebe gefährlich werden konnte?
Als ich in meiner Werkstatt war, fühlte ich, wie schwach ich noch war. Meine Hände zitterten, als ich mich an die Arbeit machte. Es war, als setzte ich meine Zärtlichkeiten fort, als streichelte ich Lauras Gesicht, Lauras Brust. Ich begann, vorsichtig den Firnis über dem Dekolleté zu entfernen.
Hätten Sie beide mich damals beobachten können, ich bin überzeugt, Sie hätten an meinem Verstand gezweifelt. Ich war so erregt, daß ich den acetongetränkten Wattebausch kaum mit der nötigen Genauigkeit über die Bildfläche führen konnte. Meine Angst, die Malschicht zu verletzen, wurde jedoch von dem Lustgefühl verdrängt, die Haut der Gentildonna vom Schleier eines schmutzigen und vergilbten Firnisses zu befreien.
Nur ein Kollege wird nachvollziehen können, wie groß mein Schreck war, als ich merkte, daß meine Manipulationen die Perlenkette zerstörten, die die Gentildonna trug. Das Lösungsmittel griff die Perlen an, als würden sie unter einem mechanischen Druck zerspringen. Ich hielt inne und warf mich in den Sessel. Ich hätte niemals in diesem Zustand arbeiten dürfen. Doch dann kam mir eine Idee. Ich holte die Fluoreszenzleuchte, und kurz darauf bestätigte sich mein Verdacht. Die Perlenkette war eine nachträgliche Übermalung. Da sie unter dem Originalfirnis lag, mußte sie noch vom Maler selbst stammen.
Es ist schwer zu entscheiden, ob man eine solche Retusche für autorisiert halten soll oder für einen qualitätsmindernden Eingriff des Malers, eine Art Zensur, deren historische Gründe für uns irrelevant sind. Ich entschied mich für die zweite Möglichkeit.
Es dauerte nur eine halbe Stunde, und die Perlenkette war verschwunden. Sie war dem Halsansatz gefolgt, über die kleine Einbuchtung, an der das Brustbein beginnt, wo die beiden Schlüsselbeine zusammentreffen, direkt unterhalb des Kehlkopfes also, eine Stelle, die der Anatom ‘Handgriff’ nennt. Ich kannte diese Bezeichnung damals nicht. Ich stieß erst auf sie, als ich mich später für Einzelheiten des Körperbaus eines Menschen interessierte. Dieses Interesse stand in engem Zusammenhang
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