Lauras Bildnis
mit der Entdeckung, die ich nach Entfernen der Perlenkette machte. Eine halbkreisförmige feine Narbe zog sich um den Hals der Gentildonna. Der Maler hatte sie später durch die Übermalung kaschiert. Die Gentildonna war eine zweifach verletzte Frau. Eine Wunde an der Stirn und eine am Hals. Mich beschlich das Gefühl, mehr für sie tun zu müssen, als nur die Wunden der Zeit zu heilen, die sich in der Malschicht zeigten.
Als ich im Morgengrauen das Institut verließ, begegnete ich Labisch. Ich weiß nicht, was ihn veranlaßt hatte, vor dem offiziellen Beginn der Dienstzeit zu erscheinen. Damals glaubte ich, daß er mir nachspionieren wollte. ‘Mein Gott, Sie sehen ja aus wie Ihre eigene Leiche’, hatte Labisch gesagt. Ich gab ihm das Kompliment zurück. ‘Ich denke, Sie sind krank’, fuhr er fort. ‘Ich habe übrigens mit dem Chef eine Unterredung gehabt. Er wollte wissen, wie sich die Restaurierung der Stadtansicht anließe. Er ist besorgt, ob Sie es bis zur Eröffnung schaffen. Er überlegt, ob er nicht Gelder für einen zweiten Restaurator bewilligen solle. Wie denken Sie darüber?’
Ich wußte, daß dieser riesige Schinken, der im Foyer des Neubaus hängen sollte, weil er angeblich auf einmalige Weise einen Einblick in die Historie des Alltagslebens unserer Stadt gewährt, bereits in meiner Werkstatt stand. Dabei hatte ich ihn heute nacht nicht einmal bemerkt.
‘Ich werde mich noch einen Tag ausruhen’, sagte ich. ‘Sie können dem Chef ausrichten, daß ich auch allein mit der Arbeit fertig werde.’
Labisch klopfte mir auf die Schulter. Eine für seine Verhältnisse ganz unglaubliche Vertraulichkeit.
Mir war der Gedanke unerträglich, mit einem zweiten Restaurator zusammenzuarbeiten, solange ich die Gentildonna in meiner Werkstatt hatte. Ich mußte es schaffen, beide Bilder bis zum Frühjahr fertig zu haben.
Ich legte mich ins Bett und schlief ein paar Stunden. Dann wurde ich vom Telefon geweckt. Es war meine Frau. ‘Hast du eine Freundin?’ fragte sie. Sie hatte Lauras Foto in der Zeitung gesehen, in einem Artikel über das Stipendiatenfest.
‘Das ist doch genau dein Typ’, sagte sie.
Ich machte nur einen schwachen Versuch zu leugnen. Dann sagte ich einfach: ‘Ja, ich habe eine Freundin. Du hast recht, ich habe eine Freundin.’ Das Wort Freundin paßte mir nicht. Es schien mir zu schwach.
‘Es reicht mir’, sagte meine Frau, ‘du brauchst dich nicht mehr zu melden. Hast du verstanden?’
Sie knallte den Hörer auf. Der gleichmäßige Summton glich einem Strich, mit dem man einen langen Text annulliert.
Ich entsinne mich, daß ich erleichtert war. Schuldgefühle können manchmal die verblüffende Eigenschaft haben, dem Dasein das Verschwommene, Unscharfe zu nehmen, unter dem wir unbewußt leiden. Darin ähneln sie dem Glück. Ich hatte Schuldgefühle und war zugleich glücklich.
Ich trat vor den Spiegel und betastete mein unrasiertes Gesicht. Dabei mußte ich grinsen wie ein Idiot. Dann rief ich Laura an. Ihre Stimme klang souverän und ein wenig fremd. ‘Ich habe meiner Frau alles gesagt, können wir uns sehen?’‘Mußt du nicht arbeiten?’‘Ich habe mich krank gemeldet. Es ist mir wichtig, dich jetzt zu sehen. Kannst du nicht kommen?’‘Es ist mir lieber, du kommst.’
So ungefähr war unser Dialog. Ich hätte erkennen müssen, daß Laura sich ungern überreden ließ. Aber ich war blind.
Laura saß am Tisch vor einer Tasse Kaffee und sah sehr ernst aus.
‘Was ist, Laura’, sagte ich und strich ihr übers Haar. Sie hob den Kopf und sah mich aus ihren grauen Augen an: ‘Ich fliege im Dezember zu Phil. Wir haben es so verabredet. Ich werde sechs Wochen fort sein in einer anderen Welt. Wenn ich über dem Pazifik bin, werde ich in zwei Hälften zerfallen, die nie mehr ein Ganzes ergeben.’
Sie weinte. Es kam so plötzlich wie der Regenschauer an dem Tag, als ich Laura zum erstenmal gesehen hatte. Ich nahm sie unbeholfen in die Arme. Dabei war mir selbst zum Heulen zumute.
‘Wir wollen etwas unternehmen, Laura’, sagte ich.
‘Am besten, ich gehe weit weg, ohne euch beide’, flüsterte sie. ‘Am besten nach Malaysia. Ich wollte schon immer nach Malaysia in den Regenwald.’
‘Es gibt hier in der Stadt einen botanischen Garten mit einem künstlichen Regenwald. Laß uns hinfahren.’ Sie erhob sich und legte die Arme um meinen Hals. ‘Du bist nett’, sagte sie. ‘Und zielstrebig.’
Ich nahm eine Kamera mit. Jetzt schon Erinnerungsfotos von Laura? Ich gestand
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