Lauras Bildnis
mir damals nicht ein, wie groß meine Angst war, sie zu verlieren.
Wir gingen ins Tropenhaus. Die Illusion war perfekt. Kondenswasser tropfte als ständiger Regen von den Glasdecken herab. Überall wucherten Pflanzen, Lianen, Orchideen, feucht und fleischig. Ihre Formen waren unnatürlich und der Duft von manchen betäubend, süßlich und krank. Ich suchte eine attraktive Stelle und bat Laura zu posieren. Während ich durch die Mattscheibenlupe sah, erstarrte meine Freundin zu einer Wachsfigur. Nur die Haare bewegten sich im künstlichen Wind, den ein versteckter Ventilator erzeugte. Es war Monsun.
Linse und Mattscheibe beschlugen ständig, und es war unmöglich, scharf zu stellen. Ich sah Laura im Lichtschacht der Kamera zwischen grünen Nebelschwaden. Ihr starres Lächeln schwamm in einem Wassertropfen, der sich auf der Mattscheibe gebildet hatte. Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich auf den Auslöser drückte, so verliebt war ich in die Pose Lauras.
Als ich den Kopf hob, war sie weitergegangen, und ich suchte sie auf den gewundenen Pfaden dieses künstlichen Dschungels. Schweiß tropfte mir von der Stirn. Laura sah ich erst am Ausgang wieder. Hier, wo die kühle Luft von draußen mit dem tropischen Wetter zusammentraf, lehnte sie an einer Säule und rauchte eine Zigarette. Ihre Haare waren verfilzt von der Feuchtigkeit. Wieder sah sie ernst aus.
‘Dort, wo wir wohnen, ist den ganzen Sommer über solches Wetter. Man kann nicht arbeiten, nicht denken. Hier kann man wenigstens wieder hinaus.’
Ich hakte sie unter, und wir wanderten unter freiem Himmel durch eine künstlich angelegte nordische Tundra. ‘Dies ist mehr meine Landschaft’, sagte ich.
Dann bat ich sie stehenzubleiben, und ich machte noch ein Foto von ihr vor einer Gruppe niedriger Latschenkiefern.
Meine Lebensweise hatte sich völlig verändert. Jede Nacht schlief ich in Lauras engem Bett ein und ging im Morgengrauen in meine Wohnung hinüber, damit wir beide etwas Schlaf bekamen. Zum Frühstück war ich wieder bei ihr. Laura kochte Kaffee, ich machte den Ofen an. Wir lebten wie ein schon lange verheiratetes Paar, das sich neu entdeckt.
Im Laufe des Vormittags ging Laura in ihr Atelier. Sie zog einen weißen Kittel über und versenkte sich in ihre Arbeit. Strähne für Strähne, Locke für Locke entstand ein neues Selbstbildnis. Ich saß oft dabei und sah ihr zu. Es war unglaublich, mit welcher Konzentration sie arbeitete. Ihre Hand war sich vollkommen sicher. Sie skizzierte nicht vor. Es sah eher aus, als wäre die Zeichnung im Papier verborgen und würde von ihr durch die Bewegungen des Bleistifts wie mit einem Schaber freigelegt.
Ich verlor in solchen Situationen jedes Gefühl für Zeit. So wie Staubteilchen, die sich im schräg einfallenden Licht kaum bewegen, oft auf der Stelle schweben, ehe sie sich ein wenig heben oder senken, kamen mir die Minuten und Sekunden in Lauras Atelier vor. Nur wenn jemand durch den Raum ging, kam Bewegung in sie. Dann erhob auch ich mich und ging hinüber ins Museum.
Lange konnte dieser Zustand nicht anhalten. Es fiel natürlich auf, daß ich jetzt immer zu spät kam. Aus schlechtem Gewissen arbeitete ich mit unverzeihlicher Hast an der Stadtansicht. Zwischendurch widmete ich mich der Gentildonna. Ich untersuchte die Halswunde und stellte fest, daß sie durch alle Malschichten einschließlich der Grundierung bis auf den Bildträger hinabreichte. Es gab keinen Zweifel: Dies war keine gemalte Wunde. Jemand hatte dem Bild die Verletzung mit einem scharfen Gegenstand beigebracht. Der Maler hatte den Schnitt ausgebessert und schließlich mit der Perlenkette übermalt. Ein Attentat mußte auf das Bild verübt worden sein, als es noch nicht lange existierte. Wunde und Übermalung lagen ja unter dem historischen Firnis.
Eines Tages wurde ich zu einer Audienz bei meinem Chef gebeten. Labisch überbrachte mir die Nachricht. Es war typisch für unseren Direktor, sich eines Zwischenträgers zu bedienen.
‘Sie werden sich ein paar unbequeme Fragen gefallen lassen müssen’, sagte Labisch. ‘Doch wie ich Sie einschätze, sind sie Manns genug, sich aus allem herauszureden. Stellen Sie sich vor, unser Chef würde für sein Porträt Modell sitzen. Malen Sie ihn in Gedanken, wenn er Sie in die Enge zu treiben versucht. Wählen Sie den Stil des Gemäldes nach Ihrem Gutdünken.’ Labisch lachte und schlug mir wieder einmal auf die Schulter. Er mochte den Direktor nicht, weil seiner Meinung nach das 19. Jahrhundert in der
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