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Lauras Bildnis

Titel: Lauras Bildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Boetius
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Einkaufs- und Hängepolitik des Museums unterrepräsentiert war.
    Ich fuhr mit dem Fahrstuhl hoch in die Chefetage. Von hier aus hat man nach allen Seiten einen schönen Blick über die Stadt. Ich sah den Fluß mit seinen Brücken, seinem gelbbraunen Wasser, in dem sich an diesem trüben Tag nichts spiegelte. Ich blickte hinab in den Park. Man konnte Lauras Appartement sehen. Die Tür ging auf, und sie erschien. Sie trug ihren Jogginganzug und ihre Laufschuhe. Die Haare hatte sie hochgebunden und im Nacken mit einer Klammer fixiert. Ich sah, wie sie sich mit einigen gymnastischen Bewegungen lockerte und dann zu laufen begann. Sie verschwand zwischen den Bäumen.
    In diesem Augenblick erschien mir mein ganzes bisheriges Leben zu einem einzigen Bild geschrumpft, zu einer kleinen, kristallinen Form, einer Schneeflocke vergleichbar, die mir durch Zufall auf den Handrücken gefallen war und nun von der Wärme meines Blutes zu tauen begann.
    Der Direktor unseres Museums ist ein ansehnlicher Mann. Er ist groß und repräsentabel, hat musisch gelockte, graue Haare. Bei offiziellen Anlässen macht er sich außerordentlich gut. Da er die meisten Anwesenden um Haupteslänge überragt, ist man geneigt, ihm ein hohes Niveau zu unterstellen. Auf den ersten Blick sind seine Gesichtszüge markant, auf das erste Hinhören ist seine Stimme wohlklingend. Er ist ein Meister der Konversation, und er versteht es ausgezeichnet, bei den Vertretern der Kulturpolitik Gelder für unser Haus lockerzumachen. Die großzügige Ausstattung unseres Neubautraktes ist im wesentlichen dieser Fähigkeit zu verdanken. Eins jedoch fehlt ihm, wie ich schnell herausfand: ein auch noch so minimales Verständnis für Malerei. Gewiß, er ist sehr gebildet, er kann Stile, Epochen und ihre Repräsentanten brillant analysieren. Er ist jedoch nach meinem Eindruck vollkommen unfähig, auch nur ein einziges Bild mit innerer Anteilnahme zu betrachten. Ich habe den Verdacht, daß ihm der eigentliche Gegenstand seiner Funktion, das Gemälde, nicht nur fremd, sondern beinahe unangenehm ist. Ich habe beobachtet, daß er vor Bildern, vor Neuankäufen zum Beispiel, einen eigenartig nervösen Eindruck macht.
    Kaum hatte ich Platz genommen in dem Designerstuhl vor dem Designerschreibtisch, begann ich zu reden. Ich schwärmte von meinem Fund, von diesem einmaligen Tafelbild, dem ein Ehrenplatz in unserer Galerie gebühre. Es war, als redete ich um mein Leben und um das der Gentildonna. Ich entsinne mich, daß ich es vermied, dem Direktor in die Augen zu sehen. Deutlich habe ich noch das Bild der zahllosen Tauben vor mir, die aufgereiht auf der Dachrinne saßen. Der lichtdurchflutete Raum erinnerte an eine Schiffsbrücke. Auch die unnatürlich weißen Wolken am Himmel sind mir in Erinnerung geblieben. Es war ein idealer Raum für ein Atelier.
    Der Chef unterbrach mich nur selten. Dabei brachte er das Thema entweder auf meine Gesundheit oder auf die Notwendigkeit, die Restaurierung des historischen Prospektes bis zur Eröffnung des Neubaus abgeschlossen zu haben. Er war nicht unfreundlich, aber er kam mir abwesend vor. Einmal erzählte er zusammenhängend. Es ging um eine kleine Geschichte, um eine Anekdote über den Gründer unserer Anstalt. Er hatte sein Geld mit Gewürzen gemacht. Mein Chef verglich unsere Gemäldesammlung mit Spezereien. Pfeffer und Salz und alles mögliche kamen vor. ‘Wie würden Sie Ihre Gentildonna in dieser Hinsicht einordnen?’ fragte er und lachte, als habe er einen frivolen Witz gemacht. ‘Ich verspreche Ihnen, ich werde sie mir bald ansehen, dieses Weibsbild, von dem Sie so besessen zu sein scheinen.’
    Als ich wieder draußen war, kam mir das ganze Gespräch wie ein Alptraum vor. Er hatte mich nicht kritisiert, jedenfalls nicht deutlich. Wahrscheinlich hatte er mich nur observiert, nur wie einen Kranken beobachtet, dessen äußerer Eindruck gewisse Anhaltspunkte für eine Diagnose abgibt.
    Ich fuhr nicht mit dem Fahrstuhl hinunter, sondern stieg durch eines der Oberlichtfenster aufs Dach. Reichlich verrückt, denn es war nicht auszuschließen, daß der Chef mich bemerkte. Ich lief über das Kupferblech, vorbei an den Schloten der Klimaanlage, stieg Eisenleitern hinauf und hinab und gelangte so über den Flügel des Neubaus bis zu einer Eisentreppe, die außen am Gebäude in den Hof der Kunsthochschule hinabführte.
    Lauras Tür war angelehnt. Ich trat ohne zu klopfen ein. Laura war verschwitzt vom Laufen. Ihr Gesicht glühte, ihre Haare waren

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