Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition)
Abhandlungen und Wahrheiten zu entüllen, welche noch unter dem dunkeln Schleier eines schwarzen Blattes mystisch verborgen liegen.
81. Kapitel
Nihil me poenit hujus nasi, sagte Pamphagus, – zu deutsch: – Meine Nase hat mein Glück gemacht. – Nec est cur poeniteat, erwiderte Cocles; das heißt: Wie könnte es einer solchen Nase nicht glücken!
Der Lehrsatz wurde wie Sie sehen von Erasmus mit der grössten Offenheit ausgesprochen, wie es auch mein Vater wünschte; die Enttäuschung meines Vaters aber bestand darin, dass er bei einer so gewandten Feder nichts mehr fand als die einfache Tatsache ohne irgend eine jener spekulativen Feinheiten oder Doppelzüngigkeiten der Beweisführung, die der Himmel dem Menschen verliehen hat, um die Wahrheit zu erforschen und nach allen Seiten zu verfechten. – Mein Vater schimpfte und schmähte anfangs schrecklich darüber. – Es ist aber immer gut, wenn man einen angesehenen Namen hat. Da der Dialog von Erasmus war, so kam mein Vater bald wieder zu sich selbst, las ihn zu wiederholten Malen mit aller Aufmerksamkeit durch und studierte jedes Wort, ja jede Sylbe desselben durch und durch nach deren strengsten, wörtlichen Bedeutung. – Doch konnte er auch so nichts daraus machen. Vielleicht, sagte mein Vater, ist damit mehr gemeint als wirklich ausgesprochen ist. – Gelehrte Männer, Bruder Toby, schreiben nicht Dialoge über Nasen für nichts und wieder nichts. – Ich muss den mystischen und allegorischen Sinn der Sache herausstudieren. – Hier ist Raum genug, um das eigene Ich des Menschen hineinzulegen.
Mein Vater las weiter. –
Nun muss ich dem geneigten Leser mitteilen, dass außer den vielen von Erasmus aufgezählten nautischen Verwendungen der langen Nasen, der Dialog behauptet, eine lange Nase habe auch ihre häuslichen Vorteile; denn im Notfall – und wenn es an einem Blasebalg fehle, sei sie auch sehr gut ad excitandum focum um das Feuer damit anzublasen.
Die Natur war in Verleihung ihrer Gaben an meinen Vater höchst verschwenderisch und hatte namentlich auch die Saat der Wortkritik so tief in ihn gesät wie die jeder anderen Kenntnis; – er hatte also sein Federmesser zur Hand genommen und experimentierte an obigen drei Wörtern; er wollte sehen ob er nicht einen besseren Sinn hineinradieren könnte. – Ich habe jetzt den mystischen Sinn des Erasmus bis auf einen Buchstaben herausgebracht, Onkel Toby, rief mein Vater. – Dann bist du nahe genug daran, Bruder, erwiderte mein Onkel alles Ernstes. – Ach was! rief mein Vater, indem er weiter radierte. Ich möchte ebensogut sieben Meilen weit davon sein. – Jetzt bin ich fertig, sagte mein Vater, und schnappte mit den Fingern. Sieh', mein lieber Bruder Toby, wie ich den Sinn verbessert habe. – Aber du hast ein Wort verstümmelt, erwiderte mein Onkel Toby. – Mein Vater setzte seine Brille auf, – biss sich in die Lippen, – und riss das Blatt im Zorn heraus.
82. Kapitel
O Slawkenbergius! Du getreuer Zergliederer meiner Disgrazias – du trauriger Vorhersager so mancher Hiebe und Verkürzungen, die mir in der einen oder anderen Epoche meines Lebens wegen der Kürze meiner Nase und soviel ich mir bewusst bin aus keinem anderen Grunde zu Teil wurden – sage mir, Slawkenbergius! welcher geheime Antrieb war es? welcher Ton der Stimme? woher kam er? wie fiel er in dein Ohr? – Bist du überzeugt, dass du ihn gehört? – was zuerst dir zurief: – Geh – ach, Slawkenbergius! widme diesem Zank die Arbeit deines Lebens, – vernachlässige deinen Zeitvertreib – versammle alle Kräfte und Fähigkeiten deiner Natur – kreuzige dich selbst im Dienst der Menschheit, und schreibe einen großen Folioband für sie, und zwar über ihre Nasen.
Wie diese Sache dem Empfindungssitze der Nerven des Slawkenbergius mitgeteilt wurde – so dass Slawkenbergius wusste wessen Finger die Tasten berührte – und wessen Hand den Blasebalg trieb – darüber können wir, da Hafen Slawkenbergius über 90 Jahre her tot ist und in seinem Grabe ruht – nur Vermutungen aufstellen.
Man hat sein Spiel mit Slawkenbergius getrieben, soviel ich weiß, wie mit einem Schüler von Whitefield; – dass heißt mit einem so bestimmten Verständnis davon, welcher der beiden Meister auf seinem Instrument gespielt – dass es ganz nutzlos ist, weiter hierüber zu verhandeln.
Denn in dem Bericht, in welchem Slawkenbergius der Welt die Gründe und Veranlassungen mitteilt, warum er schrieb und soviele Jahre seines Lebens auf
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