Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition)
über das Wittum mit 150 Pfund halbjährlich – an Michaelis und Mariä Verkündigung – zu bezahlen hatte.
Niemand erledigte Geldverbindlichkeiten auf eine liebenswürdigere Art als mein Großvater; – und bis zu 100 Pfund pflegte er das Geld Guinee für Guinee mit jenem geistreichen Ruck ehrlicher Willfährigkeit auf den Tisch zu werfen, wie noble Seelen, aber nur noble Seelen zu tun im Stande sind; sobald er aber an die weiteren 50 kam – ließ er in der Regel ein lautes Hem! hören, rieb sich die Nase mit dem flachen Teil des Zeigefingers, – schob die Hand vorsichtig zwischen Kopf und Perückennetz – betrachtete jede Guinee auf beiden Seiten, ehe er sich von ihr trennte – und kam selten bis an das Ende der 50 Pfund, ohne dass er das Taschentuch zog und sich die Schläfe wischte.
Gütiger Himmel! schütze mich vor jenen Quälgeistern, welche keine Nachsicht mit solchen inneren Regungen haben. – Lass mich niemals – niemals in dem gleichen Zelte mit denen liegen, welche beständig den Bogen spannen, und kein Gefühl für die Macht der Erziehung und vorgefasster von den Vorfahren ererbter Meinungen haben!
Seit wenigstens drei Generationen hatte dieser Satz zu Gunsten langer Nasen allmählich Wurzel in unserer Familie gefasst. – Die Tradition stand ihm zur Seite, und das Interesse war alle Halbjahr dazu getreten, um ihn zu verstärken; so dass man diese Anschauung keineswegs allein auf Rechnung des wunderlichen Geistes meines Vaters setzen konnte, wie dies fast bei allen seinen andern seltsamen Ansichten der Fall war; – ja man durfte in hohem Maße behaupten, er habe jene mit der Muttermilch eingesogen. Gleichwohl tat er das Seinige dazu. – Wenn Erziehung diese Schrulle (falls es eine war) pflanzte, so bewässerte mein Vater sie und brachte sie zur Reife.
Oft, wenn er seine Gedanken über diesen Gegenstand aussprach, sagte er, er könnte nicht begreifen, wie die grösste Familie in England eine ununterbrochene Folge von 6 bis 7 kurzer Nasen durchmachen könnte. – Und aus dem entgegengesetzten Grunde pflegte er in der Regel hinzuzusetzen, müsste es eines der grössten Probleme im bürgerlichen Leben sein, ob nicht die gleiche Zahl langer und schöner Nasen, die in direkter Linie aufeinander folgten, eine solche Familie zu den höchsten Ehrenstellen des Landes emporheben würde. – Er rühmte sich dabei oft, dass die Familie Shandy zu den Zeiten des Königs Heinrich VIII. eine sehr hohe Stellung eingenommen, dies aber keiner Staatskunst verdankt habe, – sondern lediglich diesem Umstand; – wie bei mancher anderen Familie aber – pflegte er hinzuzusetzen – habe sich auch hier das Rad gedreht und die Familie sich nie mehr von dem Schlage erholt, den ihr die Nase meines Urgroßvaters beigebracht. – Es war wahrhaftig ein Kreuzaß, pflegte er zu sagen und den Kopf zu schütteln; – und ein so niederträchtiges, als je eines für eine unglückliche Familie Trumf wurde.
Schöne, sanfte, edle Leserin! – wohin verirrt sich deine Phantasie! – So wahr der Mensch ein Geschöpf der Wahrheit ist, ich verstehe unter der Nase meines Urgroßvaters das äußere Organ des Riechens, oder jenen Teil des menschlichen Körpers, der ihm im Gesicht steht – und der, wie Maler behaupten, bei guten schönen Nasen und wohlproportionierten Gesichtern ein volles Drittel desselben beträgt; – vom Anwuchs des Haares an nach abwärts gemessen.
– Was hat doch ein Schriftsteller nicht Alles durchzumachen!
78. Kapitel
Es ist ein besonderer Segen, dass die Natur das Gemüt des Menschen mit derselben glücklichen Abgeneigtheit und Widerspenstigkeit gegen Überzeugung ausgestattet, wie man an alten Hunden bemerkt, – dass sie keine neue Kunststücke mehr lernen wollen.
In welch' einen Federball würde der grösste Philosoph, der jemals gelebt, sofort verwandelt, wenn er nur solche Bücher lesen, solche Tatsachen beobachten und solche Gedanken denken würde, die ihn beharrlich veranlassen, seinen Standpunkt zu wechseln!
Nun verachtete mein Vater dies Alles, wie ich Ihnen schon im vorigen Jahre erzählte; – er hob eine Ansicht auf, wie ein Mensch im Naturzustand einen Apfel aufhebt – er wird sein Eigentum; – und wenn er ein Mann von Geist ist, würde er eher sein Leben verlieren, als dass er ihn aufgäbe.
Ich kann mir denken, dass Didius der große Zivilrechtslehrer diesen Satz bestreitet und mir entgegenhält: – Woher der Mensch ein Recht an den Apfel habe? Ex confesso, wird er sagen, –
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