Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition)
Kutscher so viel Zoten gegen dieses dürre Rösslein schleudern? Seht ihr denn nicht, Freund, dass die Straßen so schändlich enge sind, dass in ganz Paris nicht so viel Raum ist, um einen Schiebkarren zu wenden? In der grössten Stadt der Welt hätte es nicht schaden können, wenn man sie um einen Gedanken breiter gemacht hätte; ja wäre in jeder Straße nur so viel Platz. dass ein Mensch (wäre es auch nur zu seiner eigenen Befriedigung) wüsste, auf welcher Seite der Straße er eigentlich geht. Eins – zwei – drei – vier – fünf – sechs – sieben – acht – neun – zehn. Zehn Garküchen und zwei Mal so viel Barbierstuben! und alles auf einer Fahrt von drei Minuten! Man sollte glauben, alle Köche der Welt hätten bei irgend einer großen festlichen Zusammenkunft mit den Barbieren einstimmig gesagt: – Kommt, wir wollen Alle nach Paris ziehen; die Franzosen essen gerne etwas Gutes, – es sind lauter Gourmands; – wir werden dort eine hohe Stellung einnehmen, – wenn der Bauch ihr Gott ist, müssen die Köche vornehme Herren sein; und da ferner die Perücke den Mann macht und der Perückenmacher die Perücke, – ergo würden die Barbiere dann gesagt haben, nehmen wir noch eine höhere Stellung ein, – wir werden über euch Allen stehen, – wir werden wenigstens Capitouls [Anm.: Die ersten Magistratspersonen in Toulouse] werden, – pardi! wir werden Alle Degen tragen.
Und so möchte man schwören (nämlich bei Kerzenlicht – aber darauf ist kein Verlass), machten sie bis heutiges Tages fort.
219. Kapitel
Die Franzosen werden nicht recht verstanden, – ob der Fehler aber an ihnen liegt, indem sie sich nicht gehörig erklären, oder nicht mit der genauen Beschränkung und Bestimmtheit sprechen, welche man bei Dingen von solcher Wichtigkeit erwarten sollte, und die überdies so gerne von uns bestritten werden, oder ob nicht der Fehler ganz an uns liegt, indem wir ihre Sprache nicht immer so fein verstehen um zu wissen, »was sie eigentlich wollen,« – das will ich nicht entscheiden; aber so viel ist mir klar, wenn sie behaupten: Wer Paris gesehen habe, der habe Alles gesehen, – so müssen sie solche meinen, die es bei Tageslicht gesehen haben.
Was die Kerzenbeleuchtung betrifft, – so gebe ich sie auf; – ich habe vorhin gesagt, es sei kein Verlass auf sie; – und ich wiederhole es; nicht aber weil Lichter und Schatten zu grell wären, – oder die Tinten ineinander verschwämmen; – oder weder Schönheit noch Haltung vorhanden wäre u. s. w., denn das ist nicht wahr; – aber es ist in der Beziehung eine unsichere Beleuchtung, – weil unter all den fünfhundert großen Hôtels, die man euch in Paris aufzählt, – und unter den fünfhundert guten Dingern, nach einer mäßigen Schätzung (denn es ist dabei nur ein gutes Ding auf ein Hôtel gerechnet), welche man am besten bei Kerzenlicht sieht, fühlt, hört und versteht (was beiläufig eine Zitation aus Lilly ist) – kaum eins ist, in das ein Teufelskerl von uns, unter fünfzig, den Kopf mit Sicherheit hineinstecken kann.
Es ist dies keine französische Schätzung, vielmehr einfach so:
Bei dem letzten im Jahr 1716 vorgenommenen Augenschein, seit welcher Zeit beträchtliche Neubauten stattgefunden haben, enthielt Paris neunhundert Straßen, nämlich:
In dem Cité genannten Stadtviertel 53,
in St. Jacques am Schlachthaus 55,
in St. Oportun 34,
im Louvre Viertel 25,
im Palais Royal oder St. Honoré 49
in Montmartre 41,
in St. Eustache 29,
in den Hallen 27,
in St. Denis 55,
in St. Martin 54,
in St. Paul oder der Steinstoßerei 27,
im Grève-Viertel 38,
in St. Avoy oder der Glasfabrik 19,
im Marais oder Tempel 52,
in St. Antoine 68,
auf dem Platz Maubert 81,
in St. Benoit 60,
in St. André des Arcs 51,
im Luxemburg Viertel 62 und
in St. Germain 58,
in welchen allen man seinen Spaziergang machen kann; und wenn man sie, mit allem was dazu gehört – ihren Toren, Brücken, Plätzen, Statuen im richtigen Tageslicht gesehen hat – und überdies durch all ihre Kirchspiele, St. Roche und St. Sulpice nicht zu vergessen, gewandert ist, – und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, die vier Paläste besucht hat, die man nach Belieben mit oder ohne Statuen und Gemälde besichtigen kann –
dann hat man gesehen, –
Aber das brauche ich dem Leser nicht zu sagen, er kann es selbst über dem Porticus des Louvre lesen, wo geschrieben steht:
Die Welt hat kein solch Volk – kein Volk hat solche Stadt wie
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