Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition)
Empfinden; und selbst den Himmel bemessen wir lediglich nach unseren dermaligen Gelüsten und unserer Verdauung.
Wer aber, glauben Sie, habe im gegenwärtigen Falle am meisten Unrecht?
Gewiss Sie, erwiderte sie, da Sie eine ganze Familie so früh stören.
215. Kapitel
Sie wusste jedoch nicht, dass ich ein Gelübde getan hatte, mich nicht früher rasieren zu lassen, bis ich in Paris sein würde, – doch ich hasse es, aus Nichts ein Geheimnis zu machen. – Es ist dies die kalte Vorsicht einer jener kleinen Seelen, deren Grösse Lessius [Buch 13 de Moribus Divinis, Cap. 24] berechnet hat, indem er hervorhebt, dass eine holländische Meile im Kubik Raum genug für deren 800,000 Millionen biete, oder seiner Ansicht nach so viel Seelen (vom Sündenfall Adams an gerechnet) als bis ans Ende der Welt möglicher Weise verdammt werden können.
Wie er zu dieser zweiten Schätzung kam, – wofern er sie nicht auf die väterliche Güte Gottes baute, – weiß ich nicht: – noch weniger begreife ich, was Franciscus Ribbera im Kopfe steckte, als er behauptete, dass kein geringerer Raum als zweihundert italienische Meilen im Quadrat für die gleiche Zahl genüge; – er muss seine Rechnung offenbar nach den alten Römerseelen, von denen er gelesen hatte, gemacht und dabei nicht bedacht haben, wie sehr diese Seelen im Laufe von 1800 Jahren durch eine allmähliche und gründliche Abzehrung unvermeidlich zusammenschrumpften, so dass sie zur Zeit, da er schrieb, fast bei nichts angelangt waren.
Zur Zeit des Lessius, welcher als der nüchternere Mann erscheint, waren sie bereits denkbarst klein geworden.
Jetzt sind sie noch kleiner.
Nächsten Winter werden sie abermals kleiner sein; so dass wenn wir von wenig zu noch weniger, und von noch weniger zu Nichts weiterschreiten, ich keinen Augenblick zu behaupten Anstand nehme, dass wir nach diesem Tempo in einem halben Jahrhundert gar keine Seelen mehr haben werden; über diese Zeit hinaus wird nach meiner Ansicht auch die christliche Religion nicht dauern, so dass dabei wenigstens der Vorteil gewonnen wird, dass beide genau zur gleichen Zeit aufgebraucht sein werden.
Heil dir Jupiter, und Heil euch andern heidnischen Göttern und Göttinnen! Dann werdet ihr alle wieder auf die Bühne treten und Priapus in eurem Gefolge. – Welche lustige Zeiten werden dann kommen! – doch wo bin ich? und in welch' köstlichen Tumult von Dingen gerate ich hinein? Ich – der ich in der Mitte meiner Tage plötzlich dahin fahren und nichts mehr von jenen Zeiten genießen werde, als was ich meiner Phantasie entlehne. – Friede sei mit dir, du edler Narr! – und jetzt lasst mich weiter machen.
216. Kapitel
Weil ich es wie gesagt hasse, aus einem Nichts ein Geheimnis zu machen, – vertraute ich es dem Postillion an, sobald wir das Pflaster hinter uns hatten: er tat mit seiner Peitsche einen Klatsch in Erwiderung des Kompliments, und so tanzten wir, während das Sattelpferd trabte und das andere eine Art Galopp ging, nach Ailly aux Clochers weiter, das ehedem wegen des schönsten Glockenspiels auf der Welt berühmt war; wir tanzten jedoch ohne Musik hindurch, – da das Glockenspiel sehr in Unordnung geraten war – (wie sie dies in der Tat in ganz Frankreich sind) –
Und indem wir so möglichst schnell weiter fuhren, kam ich
von Ailly aux Clochers nach Hixcourt,
von Hixcourt nach Pequignay, und
von Pequignay nach Amiens;
über welche Stadt ich Ihnen nichts mitzuteilen habe, als was ich ihnen bereits früher hierüber mitteilte, – nämlich dass Jeanneton hier die Schule besuchte.
217. Kapitel
In der ganzen Liste jener pustenden Ärgernisse, welche den Segeln eines Mannes in die Quere blasen, gibt es kein langweiligeres und folternderes als das, welches ich nun beschreiben werde, – und gegen welches es keine Abhilfe gibt (außer wenn man immer einen Courier vorausschickt, was Viele tun, um dies Hemmnis abzuwenden), und dieses besteht darin: –
Dass wenn man noch so schön zum Schlafen aufgelegt ist – obgleich man vielleicht durch die schönste Gegend, auf der besten Straße und in dem leichtesten Wagen von der Welt fährt, – wenn man sogar die Überzeugung hat, man könnte fünfzig Meilen in Einem fort, ohne einmal ein Auge aufzumachen, schlafen, – ja was noch mehr ist, wenn man so, wie man es nur von irgend einem Satz des Euklid sein kann, versichert ist, man könnte in dieser Gegend gerade eben so gut schlafen wie wachen, – ja vielleicht noch besser; –
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