Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition)
dies Paris! – singt Juhe! Ju! [Anm.: Non orbis gentem, non urbem gens habet ulla parem]
Die Franzosen haben eine heitere Art, alles was groß ist zu behandeln; das ist Alles, was darüber gesagt werden kann.
220. Kapitel
Wenn man von »heiter« spricht (wie am Schlusse des letzten Kapitels), so kommt Einem (d. h. einem Schriftsteller) unwillkürlich das Wort Spleen in den Sinn; – besonders wenn man ein Lied davon zu singen weiß. Nicht als ob aus irgend einer Analyse, – oder aus einer Zinstabelle oder Genealogie ein grösserer Grund zu einer Verbindung beider hervorginge, als etwa zwischen Licht und Finsternis oder sonst zwei höchst unfreundlichen Gegensätzen in der Natur besteht; – es ist vielmehr nur ein Kunstgriff der Schriftsteller ein gutes Einvernehmen zwischen den Worten zu unterhalten, wie die Politiker es unter Menschen tun – da sie nie wissen, wie bald die Notwendigkeit an sie herantritt, sie zusammenbringen; – da dieser Punkt nunmehr gewonnen ist, und damit ich mir den meinigen genau zu Gemüt führe, schreibe ich hier nieder
Spleen.
Als ich Chantilly verließ, erklärte ich, dies (nämlich der Spleen) sei das beste Prinzip auf der Welt, um schnell zu reisen; ich gab es jedoch nur als Ansichtssache. Ich bin noch immer der gleichen Meinung – ich hatte damals nur noch nicht so viel Erfahrung über die Wirkung des Prinzips, um hinzufügen zu können, – dass man damit zwar mit einer rasenden Geschwindigkeit vorwärts kommt, aber zugleich sehr unbehaglich; weshalb ich diese Methode hier für immer verlasse; sie steht Jedermann herzlich gerne zu Diensten: – sie hat mir die Verdauung eines guten Nachtessens gestört und mir eine gallige Diarrhöe zugezogen, was mich wieder zu meiner ersten Methode zurückgebracht hat, nach welcher ich seiner Zeit auszog, – und nach welcher ich jetzt nach den Ufern der Garonne entfliehen werde.
Nein; ich kann mich keinen Augenblick aufhalten, um dem Leser den Charakter des Volks zu schildern, – seinen Genius, – seine Sitten, – seine Gebräuche, – seine Gesetze, – seine Religion, – seine Regierung, – seine Manufakturen, – seinen Handel, – seine Finanzen nebst allen Mitteln und verborgenen Triebfedern, welche jene aufrecht halten; ungeachtet ich mich hierzu trefflich eigne, weil ich volle drei Tage und zwei Nächte dort zugebracht und diese Dinge die ganze Zeit über zum einzigen Gegenstand meiner Forschungen und Betrachtungen gemacht habe.
Aber – aber ich muss fort, – die Straßen sind gepflastert, – die Poststationen kurz, – die Tage lang, – es ist erst Mittag – und ich kann noch vor dem König in Fontaineblau sein.
Ging er denn dahin? Dass ich nicht wüsste.
221. Kapitel
Ich mag es nicht leiden, wenn Jemand, besonders ein Reisender sich beklagt, dass man in Frankreich nicht so rasch vorwärts komme wie in England; während man consideratis considerandis eigentlich viel schneller vorwärts kommt; worunter ich verstehe: dass, wenn man die Fuhrwerke mit den Bergen von Gepäck, welches man vorn und hinten aufschnallt, – und die kleinen Pferde und die schwachen Stationen, die sie diesen geben, in Betracht zieht, – es wirklich ein Wunder ist, dass man überhaupt vorwärts kommt. Das Leiden dieser Tiere ist höchst unchristlich; und es ist mir deshalb klar, dass ein französisches Postpferd auf der Gottes Welt nichts leisten könnte, wenn nicht die zwei Worte ††††† und †††† wären, die ebensoviel Nahrungsstoff zu enthalten scheinen, als wenn man ihnen eine Metze Hafer gibt. Da nun diese Worte nichts kosten, so sehne ich mich wirklich danach sie dem Leser zu nennen; nun ist das aber eine kitzliche Sache – man muss sie dem Leser deutlich, in der genaueren Aussprache mitteilen, oder sie helfen nichts, – wenn sie aber deutlich gesagt würden – so würden Seine Hochwürden zweifellos in ihrem Schlafzimmer darüber lachen, aber ich wette, im Wohnzimmer darüber empört sein. Ich habe mich daher lange Zeit obwohl ohne Erfolg hin und her besonnen, durch welchen geschickten Kunstgriff oder drollige Erfindung ich sie so modeln könnte, dass während ich das eine Ohr, welches der Leser mir leihen will, befriedige, – ich dem andern, das er für sich behält, nicht wehe tue.
Die Tinte verbrennt mir die Finger, es zu versuchen; – und wenn ich's tue, – dann wird es noch schlimmer werden – ich fürchte, es verbrennt mir dann das Papier.
Nein; – ich wage es wirklich nicht.
Wenn der Leser aber
Weitere Kostenlose Bücher