Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition)
mit dem Plan, einen Blick in die Geschichte von Anna in chinesischer Schrift zu tun, – wie mit vielen andern, welche die Phantasie in der Entfernung erregen; je näher ich der Sache kam, desto kühler wurde mein Blut, – die Grille wurde immer schwächer, und zuletzt hätte ich nicht einen Kirschkern darum gegeben sie zu befriedigen. – Meine Zeit war mir auch so kurz zugemessen, und mein Herz hing ganz an dem Grab der Liebenden. – Wollte Gott, sagte ich, als ich den Türklopfer in die Hand nahm, der Schlüssel zur Bibliothek wäre verloren gegangen. Es war beinahe so, –
Denn alle Jesuiten hatten die Kolik bekommen, – und zwar in einem Grade, wie es sich der älteste Praktiker nicht erinnern konnte.
241. Kapitel
Da ich die Geographie des Grabs der Liebenden so gut kannte, als ob ich zwanzig Jahre in Lyon gelebt hätte; nämlich wusste, dass es gerade vor dem Tor nach der Vorstadt Vaise rechter Hand liegen musste, schickte ich François nach dem Boote, um die Huldigung, die ich jenem seit so langer Zeit schuldete, ohne einen Zeugen meiner Schwachheit darzubringen: – so schritt ich in der grössten Herzensfreude dem Grabe zu. – Als ich das Tor sah, das mich noch von dem Grabe trennte, glühte es in mir.
Ihr zärtlichen, treuen Geister! rief ich Amandus und Amanda zu, – lang – lang habe ich geharrt, – um diese Träne auf euer Grab fallen zu lassen, – ich komme – ich komme –
Aber als ich ankam – da war kein Grab da, auf das ich sie hätte fallen lassen können.
Was hätte ich darum gegeben, wenn jetzt mein Onkel Toby dagewesen wäre und seinen Lillabullero gepfiffen hätte!
242. Kapitel
Es tut nichts zur Sache, wie und in welcher Stimmung es geschah, – aber ich entfloh dem Grab der Liebenden – oder richtiger, ich entfloh ihm nicht (denn es gab ja gar keines) – und langte gerade noch zeitig genug am Boote an, um mein Fahrgeld zu retten; – und ehe ich 100 Ellen gesegelt hatte, begegneten sich Rhone und Saône und führten mich lustig mit sich fort.
Doch ich habe ja meine Rhonefahrt schon beschrieben, noch ehe ich sie machte.
So bin ich denn jetzt in Avignon, und da es hier nichts zu sehen gibt, als das alte Haus, in welchem der Herzog von Ormond wohnte, und ich nur eine kurze Bemerkung über den Ort zu machen habe, so werden Sie mich in drei Minuten auf einem Maultier die Brücke überschreiten sehen, neben mir François auf einem Pferde mit meinem Felleisen hinter ihm, während der Besitzer beider Tiere zu Fuß vor uns herschritt, mit einer langen Flinte auf der Schulter und einem Degen unter dem Arm, damit wir nicht zufällig mit seinen Tieren davon gehen sollten. Hätten Sie meine Hosen bei meinem Einzug in Avignon gesehen – Sie hätten sie allerdings noch besser sehen können als ich aufsaß – so würden Sie diese Vorsicht nicht für unnötig erachtet oder innerlich übel genommen haben; ich für meinen Teil hielt sie für sehr natürlich und beschloss, ihm am Schlusse unserer Reise die Hosen zu schenken, weil sie ihn so in Aufregung versetzt hatten, dass er sich für alle Fälle gegen sie waffnen zu müssen glaubte.
Ehe ich aber weiter gehe, will ich hier noch meine Bemerkung über Avignon los werden, die in Folgendem besteht: – Ich halte es nicht für Recht, wenn man nur deshalb weil Einem am ersten Abend in Avignon zufällig der Hut vom Kopfe geweht wird – behauptet: »Avignon sei mehr als irgend eine Stadt in Frankreich heftigen Winden ausgesetzt.« Ich legte deshalb auf diesen Unfall auch kein großes Gewicht, bis ich den Gastwirt hierüber befragt hatte, der mich ernstlich versicherte, es sei wirklich so; – und da ich überdies hörte, dass der windige Charakter Avignon's in der Umgegend sprichwörtlich sei, – so lege ich die Bemerkung nur deshalb hier nieder, um von den Gelehrten zu erfahren, welches wohl die Ursache hiervon sein könne. Die Wirkungen dieser Windigkeit sah ich selbst: – denn es sind hier lauter Herzoge, Marquis und Grafen, – der Henker hol mich wenn ein Baron in ganz Avignon ist; – so dass man an einem windigen Tage kaum Jemand ansprechen kann.
Mein Freund, sagte ich, seien Sie so gut und halten Sie mir einen Augenblick mein Maultier; – ich musste nämlich einen meiner Reitstiefel ausziehen, der mich an der Ferse drückte. – Der Mann stand müssig an der Türe des Gasthofs, und da ich glaubte, er gehöre zum Hause oder zum Stall, drückte ich ihm den Zügel in die Hand, und ging dann an meinen Stiefel. Als ich
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