Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lauter Bräute

Lauter Bräute

Titel: Lauter Bräute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Glemser
Vom Netzwerk:
über dem ganzen Raum hängt ein graues Dämmern, denn die Leuchtstoffröhren an der Decke geben nur kleine Lichtflecken, den unten wallenden Dunst vermögen sie nicht zu durchdringen.
    Mr. Poinder regiert sein Reich von einem großen Drahtkäfig dicht neben dem Lastenaufzug aus. In seinem Käfig hat er Kopien eines jeden Auftrages von jedem Einkäufer im Hause sowie Kopien aller Lieferscheine. Seine Aufgabe ist es, Aufträge und Lieferscheine miteinander abzustimmen sodann Lieferscheine und Eingänge zu vergleichen; und für mich ist es ein Wunder, daß er dabei nicht den Verstand verliert.
    Ich marschierte hinüber zu dem Käfig, gefolgt von Miß Greene, Mrs. Hatfield und unserer Lageristin, Estelle. Der Käfig war leer. Einen in der Nähe stehenden Arbeiter fragte ich: »Wo ist Mr. Poinder?« Die Antwort, begleitet von einer Daumenbewegung nach rückwärts, lautete: »Er muß da irgendwo sein.« Ich versuchte, das Dämmer mit den Augen zu durchdringen, und schließlich entdeckte ich ihn, einen kleinen, mageren Mann mit hohläugigem, zerquältem Gesicht, der gerade zwei Männer anbrüllte, die doppelt so groß waren wie er. Sie brüllten zurück, doch gegen ihn kamen sie nicht an. »Warten Sie hier«, sagte ich zu meinem Gefolge und ging hinüber zu Mr. Poinder. »Hallo, Mr. Poinder.«
    »Hallo, Miß Evans«, erwiderte er. »B 439?«
    »Ja.«
    Die beiden Riesen standen daneben und glotzten verständnislos. Mr. Poinder schüttelte den Kopf: »Irgendwas ist völlig verdreht, Miß Evans. Ich habe Ihren Auftrag, ich habe den Lieferschein, aber die Kleider sind nicht zu finden.«
    »Sie müssen da sein, Mr. Poinder. Ich habe mit dem Fabrikanten gesprochen. Er hat sie gestern um drei Uhr fünfzehn geliefert.«
    »Tut mir leid, Miß Evans, ich habe sie nirgends finden können.«
    »Bitte, Mr. Poinder, hören Sie zu«, flehte ich. »Die Braut und ihre zehn Brautjungfern werden in zwanzig Minuten hier sein. Entweder finden wir die Sendung, oder...«
    Er erstarrte. »Oder was?«
    »Oder ich muß mir eine Kugel durch den Kopf schießen, das ist alles.«
    Er seufzte auf. »Na, schön; suchen wir noch einmal.«
    Alle machten sich an die Arbeit, auch die beiden Riesen, die Mr. Poinder kurz vorher angeschrien hatte. Wir suchten den Teil des Lagers ab, wo die für die Brautabteilung eingehenden Pakete normalerweise gestapelt werden; wir suchten in den angrenzenden Bezirken; wir suchten unter den Rutschen sowie unter Förderbändern und Tischen. Ich wünschte mir vom Leben nichts weiter, als ein perlenbesticktes Spitzengewand und zehn Seidenorgandy-Kleider, Farbe dunkles Kerzenlicht; nichts weiter wollte ich, nichts weiter ersehnte ich.
    Um halb drei gab ich es auf, den Tränen nahe. »Ich werde lieber nach oben gehen und versuchen, Miß Albacini in Schach zu halten«, sagte ich zu Mrs. Hatfield und Miß Greene. Dann bat ich sie, weiter zu suchen und mich sofort anzurufen, wenn sie etwas finden sollten.
    »Das Zeug is’ nich’ da«, bemerkte Mr. Poinder recht düster.
    »Das Zeug ist da«, erklärte ich, »und wir werden es finden.«
    Ich war so zerzaust, daß ich einen der Lastenfahrstühle benutzen mußte, um hinaufzufahren. Wenn ich Glück hatte, verspätete sich Miß Albacini um ein paar Minuten, und ich würde in mein Büro schlüpfen und mir wenigstens die Nase überpudern können. Aber ich hätte wissen sollen, daß ich an einem Tage wie diesem nicht auf mein Glück vertrauen konnte. Als ich das Foyer betrat, zwitscherte Alice Pye mir entgegen: »Oh, Miß Evans! Miß Albacini ist da für die letzte Anprobe.«
    Ich saß in der Falle. Ich fuhr mir mit der Zunge über die trockenen Lippen, strich mir mit Schmierfingem das Haar aus dem Gesicht und wappnete mich, Miß Albacini entgegenzutreten, während ich mich innerlich fragte, was um Himmels willen ich ihr sagen sollte.
    Sie war eine hübsche Brünette, ungefähr neunzehn Jahre alt. Sie stand inmitten eines Knäuels von Verwandten und Freunden, dazu den zehn Mädchen, die ihre Brautjungfern sein würden. Ich arbeitete mich durch die Menge, setzte mein süßestes Lächeln auf und sagte: »Hallo, Miß Albacini, ich bin die Einkaufsassistentin, Miß Evans. Miß Caswell ist heute leider nicht da. Ihre Mutter ist schwer erkrankt; ich werde mich, zusammen mit Miß Greene, um Ihre Anproben kümmern. Kennen Sie Miß Greene schon? Sie wird gleich da sein.«
    Möglich, daß ich zu hastig sprach, oder daß meine Nervosität zu offensichtlich war: In Miß Albacinis großen dunklen Augen

Weitere Kostenlose Bücher