Lauter Bräute
ruiniert. Durchaus verständlich; sie hatte jedes Recht, aufgeregt zu sein. Kirkpaatricks Augen verengten sich, wurden böse und kalt, und ich wäre am liebsten im Erdboden versunken.
»Miß Evans?« wandte er sich fragend an mich, als Mrs. Albacini zu Ende war; in seiner Stimme schwang Unheil.
Ruhig und vernünftig versuchte ich, die Dinge zu erklären, doch er hörte kaum zu. Mitten in meiner Rede wandte er sich Mrs. Albacini zu und sagte liebenswürdig: »Würden Sie die Freundlichkeit haben, einen Augenblick Platz zu nehmen. Ich werde mich persönlich um die Sache kümmern. Keine Sorge. Wir werden die Kleider gewiß finden.«
Das war mehr oder weniger das gleiche, was ich ihr gesagt hatte, ohne eine andere Wirkung zu erzielen als panisches Entsetzen. Als Kirkpatrick es sagte, strahlte sie ihn voller Vertrauen an. Bitterkeit im Herzen sah ich ihr nach, wie sie eilends mit der frohen Botschaft zu ihrer Tochter zurückkehrte.
»Nun, Miß Evans?« sagte Kirkpatrick.
»Mr. Kirkpatrick, wir tun unser Möglichstes — «
»Ich gehe zurück in mein Büro, Miß Evans, und werde Poinder in der Annahme anrufen. Ich werde ihm sagen, daß er sich Ende der Woche nach einem anderen Posten umsehen kann, wenn er die Sendung nicht binnen fünf Minuten hier oben hat. Das sollte wirken.«
»Gewiß«, erwiderte ich. »Es wird eine fabelhafte Wirkung haben, denn das ist genau die richtige Art, sich Mr. Poinders Hilfe zu versichern.«
»Warten wir’s ab, ja?«
»Wenn Mr. Poinder hinausgeworfen wird, dürfte bei Fellowes ein Zustand von rigor mortis eintreten. Wenn Sie das wünschen — bitte.«
Wortlos wandte er sich um und ließ mich stehen. Ich sah Margot mit ihren Hutschachteln ins Foyer kommen. Zehn Minuten würde sie die Albacinis wohl ablenken können. Das gab mir eine Atempause. Ich sauste in den Aufenthaltsraum der Beraterinnen, wo ich Suzanne und Miß de Wild vorfand. In drei atemlosen Sätzen brachte ich meine Schauermär vor. »Es bleibt nur die eine Möglichkeit, daß der Auftrag versehentlich an eine andere Abteilung geliefert wurde. Los, sucht alle Etagen durch.«
»Aber das ist, als wollten wir eine Stecknadel im Heuhaufen suchen«, rief Suzanne entsetzt.
»Ich weiß. Tut, was ihr könnt, das ist alles.«
Ich eilte weiter in mein Büro und rief noch einmal Mr. Poinder an. Die Leitung war besetzt; offenbar war Kirkpatrick mir zuvorgekommen und stellte Ultimaten. Ich rief Kay Enson an und bat um ein weiteres Gespräch mit John Giachino in Boston. Als die Verbindung kam, sagte ich: »Mr. Giachino: es geht hier um Leben und Tod. Wir können den Auftrag, den Sie gestern geliefert haben, nicht finden. Würden Sie so gut sein, Ihre Unterlagen noch einmal genau anzusehen?«
»Bleiben Sie am Apparat«, sagte er.
Ich wartete endlos. Schließlich meldete er sich wieder: »Miß Evans, ich den gesamten Vorgang bis ins kleinste überprüft. Wir haben einen neuen Expedienten, und ich wollte ganz sicher gehen, daß er nichts falsch gemacht hatte. Aber bei uns stimmt alles: Die Sendung wurde gestern nachmittag um fünfzehn Uhr fünfzehn geliefert, und wir haben die quittierten Belege hier.«
»Danke, Mr. Giachino. Es tut mir leid, daß ich Ihnen so auf die Nerven fallen muß.«
»Machen Sie sich keine Sorgen«, meinte er beruhigend. »Die Sachen sind irgendwo bei Ihnen im Hause. Sie werden sicher auftauchen.«
Einige Sekunden saß ich ganz still da, den Tränen nahe. Dann riß ich mich zusammen und schlich hinaus ins Foyer.
Ich meinte meinen Augen nicht zu trauen. Das Foyer war praktisch leer. Alice Pye saß an ihrem Schreibtisch, weiß wie die Wand; Margot Barry war dabei, die Hüte der Brautjungfern wieder in die Schachteln zu packen.
Ich ging auf sie zu und fragte: »Was ist passiert?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Plötzlich sind sie alle gegangen.«
»Und wohin?«
»Das weiß ich ebensowenig wie Sie.«
»Haben sie irgendwas gesagt, ob sie zurückkommen?«
»Nein. Sie schwammen alle zusammen ab wie ein Schwarm Heringe.«
Das Telefon auf Alice’s Schreibtisch läutete. Sie nahm ab und reichte mir den Hörer. »Für Sie, Miß Evans.«
Eine ferne Stimme sagte: »Miß Evans? Würden Sie bitte sofort in Mr. Carrolls Büro kommen.« Die Stimme wartete die Antwort nicht ab. Ich reichte Alice den Hörer zurück und setzte mich in Bewegung in Richtung Fahrstühle.
Ich weiß nicht, wie viele Vizepräsidenten es insgesamt bei Fellowes gibt. Ich kannte drei: Mr. Dietrich, den geschäftsführenden Vizepräsidenten;
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