Lauter Bräute
Evans.«
»Adieu, Miß Martin.«
Damit verschwand sie, und ich ging in mein Büro, führte mehrere Telefongespräche, stimmte die Albacini-Angelegenheit in allen Einzelheiten mit Miß Caswell ab, warf einen Blick ins Foyer und überprüfte geschwind die Lagerräume. Dann, um elf Uhr vierzig, beschloß ich, Tommy einen Wink zu geben, daß seine Zeit fast um war; also ging ich zur großen Anprobe und klopfte leise an die Tür. Man mußte behutsam sein, wenn er eine Porträtaufnahme schuf; dann waren seine Nerven zum Zerreißen gespannt.
Es erfolgte keine Antwort.
Ich klopfte noch einmal. Wieder keine Antwort.
Ich klopfte ein drittes Mal und legte das Ohr an die Tür, doch es war nichts zu hören. War Tommy schon fertig? War die Anprobe frei? Wenn ja, so konnte Miß Caswell anfangen, sie für die Anprobe Albacini herzurichten. Ich öffnete die Tür spaltbreit, um mich zu vergewissern, und dann - in ungläubigem Staunen — öffnete ich sie etwas weiter. Unter den grellen Fotolampen standen Tommy Leeman und Nina Haysmill eng umschlungen. Nina weinte bitterlich, und Tommy sprach zärtlich und tröstend auf sie ein. Und während ich noch starrte, senkte er den Kopf und küßte sie leidenschaftlich auf die nackte Schulter; und Nina strich ihm übers Haar und flüsterte unter Tränen: »Sie sind so lieb und verständnisvoll.« Er blickte sie an und sagte: »Ich liebe dich«; und sie erschauerte und drängte sich noch näher an ihn.
Lautlos schloß ich die Tür und blinkte einige Male mit den Augen. Die Fotolampen hatten mich geblendet, versuchte ich mich selbst zu überzeugen. Ich litt ganz offenbar unter einer Art optischer Täuschung — es konnte einfach nicht wahr sein, daß ich wirklich gesehen hatte, wie sich Nina Haysmill und Tommy Leeman in den Armen lagen. Ich holte tief Luft und klopfte noch einmal an die Tür, und diesmal war es mehr als ein Klopfen: es war laut genug, um Tote aufzuwecken.
Drinnen hörte ich einen lauten Bums. Dann Tommys belegte Stimme: »Wer ist da?«
»D’Arcy Evans.«
»Augenblick noch, D’Arcy. Ich bin bei der letzten Aufnahme. Moment.«
Ich wartete volle zwanzig Sekunden. Dann rief ich: »Darf ich jetzt hereinkommen?« und er rief zurück: »Okay.« Ich öffnete die Tür, ging hinein und sagte: »Tut mir schrecklich leid. Aber die Zeit ist um. Haben Sie alle Ihre Bilder bekommen, Tommy? Zufrieden mit der Sitzung?«
Er machte sich an seinem Apparat zu schaffen, das Gesicht abgewandt. Nina hatte sich gebückt und richtete etwas an einem ihrer Schuhe, so daß ich nichts weiter sah als ihre Turnüre. »O ja«, murmelte Tommy. »Ich habe alle meine Bilder. Danke.«
Ich sagte sanft und unschuldsvoll: »Würden Sie so gut sein, bei mir hereinzuschauen, bevor Sie gehen, Tommy? Ich habe ein paar kleine Dinge, über die ich mit Ihnen sprechen möchte.«
»Klar, klar«, erwiderte er.
Ich fand Suzanne im Aufenthaltsraum der Beraterinnen und sagte ihr, sie möge sich wieder um Nina Haysmill kümmern — sie mußte dem Mädchen beim Umziehen helfen. Dann unterrichtete ich Miß Caswell, daß die große Anprobe frei sei und ging anschließend in mein Büro.
Tommy ließ mich nicht lange warten. Er war weiß wie die Wand, als er eintrat, und trug ein geisterhaftes Lächeln zur Schau. Er versuchte krampfhaft, sich den Anschein des unbekümmerten jungen Genies zu geben, das ich vier Jahre lang gekannt hatte.
»Hallo, D’Arcy«, sagte er mit gespielter Fröhlichkeit. »Sie wollten mich sprechen, stimmt’s?«
»Stimmt.«
Er rieb den Lederflicken am linken Ellenbogen seiner Jacke, als wär’s die eigene Haut. »Nun, da bin ich.«
»Ja, da sind Sie. — Haben Sie Ihre Sachen aus der Anprobe herausgeräumt?«
»Aber sicher. Sie stehen alle am Lastenfahrstuhl, fertig zum Abtransport.«
»Gut, Tommy, sehr gut. — Und nun sagen Sie mir ehrlich, Tommy: Wie stand Miß Haysmill das Kleid? Sie sind doch Fachmann für Bräute. Sah sie gut darin aus?«
Er blinkerte nervös, wußte offenbar nicht, auf was ich hinauswollte. »Das Kleid? Wie es Miß Haysmill stand? — Oh, blendend. Umwerfend.«
»Vielleicht interessiert es Sie, Tommy, daß wir das Kleid eigens für Ihre Aufnahmen in die Dampfbüglerei gegeben haben. Unser Mr. Kahn hat einen ganzen Tag damit zugebracht, Miß Haysmills Kleid zu bügeln, damit es tadellos aussah. Dreihundertfünfzig Gesellschaftsfotografen werden Abzüge von Miß Haysmills Bild in dem Kleid bekommen, und da darf auch nicht die kleinste Kleinigkeit in Unordnung sein,
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