Lauter Bräute
Hände vor dem Gesicht und nickte.
Nun, warum nicht? dachte ich. Der Morgen ist sowieso fast vorbei. Also setzte ich mich zurück und versuchte, geduldig und mitfühlend auszusehen.
»Unser ganzes Leben lang«, sagte er, »hat es für keinen von uns einen anderen gegeben. Ich bin nie mit einem anderen Mädchen ausgegangen, Annie nie mit einem anderen Jungen. Also beschlossen wir vergangenes Jahr, da es so mit uns stand, warum also warten? Aber als wir unseren Leuten zu Hause sagten, daß wir heiraten wollten, waren sie alle der gleichen Meinung: Nein. Annies Eltern sagten, sie sei zu jung. Meine Eltern sagten, ich müsse erst mit dem College fertig sein. Uns leuchtete das nicht recht ein, und so haben wir während der letzten Osterferien heimlich geheiratet.«
»Wann sind Sie mit dem College fertig, Mr. Lannon?«
»Nächstes Jahr im Juni.«
»Nächstes Jahr! — Wo haben Sie denn gewohnt, seit Sie verheiratet sind?«
» Annie zu Hause bei ihren Leuten und ich zu Hause bei meinen.«
»Sehr vergnüglich.«
»Eben: sehr vergnüglich.« Bitter fuhr er fort: »Nun, vor einigen Wochen trafen ihre und meine Eltern auf einer Gesellschaft zusammen. Dabei haben sie anscheinend über Annie und mich geredet und sind wohl anderen Sinnes geworden. Sie gelangten zu dem glänzenden Schluß, da wir uns liebten, sollten wir auch heiraten. Und nachdem sie zu dieser prächtigen Folgerung gekommen waren, fingen sie an, Pläne für eine Hochzeit im Juni zu schmieden. Als Überraschung für uns. Heiliges Kanonenrohr! Was für Pläne! Sie wollen es zur größten und pompösesten Hochzeit machen, die Englefield Heights je gesehen hat. Die ganze Stadt haben sie eingeladen, darunter den Bürgermeister, den Polizeichef und Gott weiß wen noch. Zwei Tanzkapellen haben sie bestellt. Zwei! Und Annie muß natürlich zu keinem anderen als Fellowes, Fifth Avenue, gehen, um sich ein Brautkleid für fünfhundert Dollar...«
»Es sind nur 475...«, weinte Mrs. Lannon, »nicht fünfhundert.«
»Schön, 475«, sagte er. Grimmig sah er mich an. »Aber wir sind doch verheiratet, seit einem Jahr schon. Wie können wir noch einmal heiraten?«
»Und wie kann ich Weiß tragen?« schluchzte Mrs. Lannon. »Ich kann doch nicht in Weiß gehen. Aber wie soll ich etwas anderes tragen, wo alle diese Leute Zusehen?«
»Und Sie möchten, daß ich Ihnen rate?« fragte ich.
Sie sahen mich an, als seien sie sicher, daß ich alle ihre Probleme mit einem Wink meines Zauberstabes lösen könnte.
»Mr. und Mrs. Lannon, Sie sind verheiratet. Mit anderen Worten, Sie sind erwachsene Menschen. Die Zeit ist für Sie gekommen, auch wie Erwachsene zu handeln. Früher oder später müssen Sie Ihren Eltern sagen, daß Sie verheiratet sind. Schieben Sie es nicht auf. Sagen Sie es ihnen heute abend.« Die beiden schwiegen.
»Meinen Sie, daß Sie das können?« fragte ich.
Finster antwortete Mr. Lannon: »Ja, ich glaube, das können wir.« Er hielt die Hand seiner Frau fest in der seinen.
»Vielleicht sollten Sie zuerst mit Ihrem Pfarrer sprechen«, fuhr ich fort. »Gehen Sie zu ihm und erzählen Sie ihm die Geschichte, die Sie mir eben erzählt haben. Er wird Ihnen dann raten wegen der abgeänderten Trau-Zeremonie. Und wenn Sie dann mit Ihren Eltern sprechen, wissen Sie ganz genau, wie die Dinge liegen. Ja?«
Sie fingen an, sich bei mir zu bedanken, aber ich wollte nicht bedankt werden. Ich kam mir sehr alt und ziemlich lächerlich vor. Hatte ich sie doch lediglich auf die vernünftige Lösung ihres Problems hingewiesen — und für Vernunft waren sie zu jung; sie lebten noch in einer Welt voll bunter Regenbögen und schöner Träume.
Für das Mädchen fügte ich noch eine technische Anmerkung hinzu: »Sie wissen, daß wir das Priscilla-Modell auch in Gletscherblau bestellen können, wenn Sie das wünschen. Es wird auch dann bildschön aussehen.«
Ihr Gesicht erhellte sich. »Oh, das ist ein wundervoller Gedanke!«
Ich verabschiedete mich von ihnen und wandte mich zum Gehen. Neben dem Empfangspult stand Kirkpatrick und beobachtete uns. Ich versuchte, ihn zu ignorieren, doch noch ehe ich die Tür zu den Anproben zwischen den beiden Spiegeln erreichte, war er schon neben mir.
»Miß Evans?«
Ich blieb stehen.
»Kann ich Sie einen Augenblick sprechen?« fragte er.
»Jetzt gleich?«
»Jetzt gleich.«
»Hier?«
»In Ihrem Büro.«
Ich ging weiter, er hinter mir her.
Das erste, was er tat, als wir in meinem Büro ankamen, war, sein eigenes Gebot zu brechen: er
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