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Lauter Irre

Lauter Irre

Titel: Lauter Irre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharp
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Jetzt lag er auf dem Bett und versuchte sich zu entscheiden, wohin er von Lettland aus weiterreisen sollte. Er war einigermaßen zuversichtlich, dass seine umständliche Reiseroute und diverse Täuschungsmanöver es unwahrscheinlich machen würden, dass man ihn aufspürte. Doch da er wusste, wie beharrlich Vera sein konnte, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war es unbedingt notwendig, nach Lettland noch ein paar weitere Länder abzuhaken.
    Horace musste Orte ansteuern, wo niemand nach ihm suchen würde. Er hatte bereits Finnland in Erwägung gezogen, es aber als zu kalt verworfen. Norwegen und Schweden kamen ebenfalls nicht in Frage. Genau wie Spanien. Was er im Fernsehen von Benidorm gesehen hatte, hatte ihm Spanien für alle Zeit verleidet, und die Costa del Sol war seiner Meinung nach zu Recht als Costa del Crime bekannt, weil so viele britische Ganoven dort Villen besaßen. Auch Frankreich hatte für ihn keinerlei Reiz. Zum einen lag es zu nahe bei England, und zum anderen gehörte er zu einer Generation, die man dazu erzogen hatte, die Franzosen nicht so recht zu mögen und ihnen zu unterstellen, nichts als Affären und Seitensprünge im Sinn zu haben. Vera hatte Horace genug draufgängerischen Sex aufgezwungen, dass es ihm für ein ganzes Leben reichte.
    Tatsächlich sprach nicht ein einziges Land in Europa ihn an. Er brauchte etwas, das ganz anders war als das England, das er kannte, und auch als das Leben, das zu führen er seit seiner Heirat gezwungen gewesen war. Unfähig, sich zu entscheiden, trank er schließlich den Champagner aus und schlief ein.

17
     
    Vera Wiley lag wach und war todunglücklich. Sie hatte ihr Kind der Liebe an die Ponsons verloren, und mit ungewöhnlicher Einsicht begriff sie, dass er dort mit Sicherheit sittlich verwahrlosen würde. Das war alles Horaces Schuld. Zum ersten Mal in ihrem Leben verlor Vera das Vertrauen in die Fantasiewelt des romantischen Schunds, in dem sie ihren Verstand so viele Jahre lang mariniert hatte. Das Einzige, worauf sie hoffen konnte, war, dass Horace wieder zur Vernunft kam, damit Esmond so bald wie möglich wieder heimkehren konnte. In der Zwischenzeit würde sie Horace auf karge Kost setzen und ihn leiden lassen. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, ihm Abendessen zu bringen, und sie hatte nicht übel Lust, ihm auch das Frühstück zu streichen. Er würde schon lernen, sich keinen Nervenzusammenbruch anzutrinken, und wenn ihm das nicht passte, dann konnte er sich ja scheiden lassen. Das wäre ihr egal. Was ihn betraf, machte sie sich keine Illusionen mehr.

18
     
    Als Belinda Ponson aus der Garage gefahren war, wurde ihr sofort klar, dass es ein Fehler gewesen war, den Aston Martin zu nehmen. Er war viel zu auffällig. Also fuhr sie zu Alberts Gebrauchtwagenhandel und schnappte sich die Schlüssel eines Fords aus dem Büroschrank. Mit einiger Mühe gelang es ihr, den noch immer komatösen Esmond auf den Rücksitz zu verfrachten. Auf dem Hof standen mehrere ähnliche Autos, und es war unwahrscheinlich, dass der Ford sofort vermisst werden würde. Um noch mehr Verwirrung zu stiften, fuhr sie den Aston Martin auf den Parkplatz des Krankenhauses, wo sie ihn stehen ließ, ehe sie zu Fuß zu Alberts Geschäft zurückkehrte.
    Esmond lag noch immer so schlaff da, wie sie ihn zurückgelassen hatte. Es war Viertel vor elf, und sie hatte eine lange Fahrt vor sich. Beim Fahren schmiedete sie Pläne. Sie würde sich an Nebenstraßen halten, um die Überwachungskameras auf der Autobahn zu meiden, und lieber über Land fahren, als die direkte Route zu nehmen. Dadurch würde die Reise sehr viel länger werden, doch das war es wert. Niemand, vor allem nicht Albert, durfte erfahren, wohin sie gefahren war. Und so rollte sie durch die Nacht dahin, ohne müde zu werden, und blieb immer deutlich unterhalb der zulässigen Geschwindigkeitsgrenze.
    Gerade als der Himmel im Osten hell zu werden begann und sich die Morgendämmerung ankündigte, erklomm der alte Ford einen langen, steilen Hügel. Belinda schaltete den Motor aus und saß still da, bis die Landschaft tief unter ihr zu erkennen war. Deren Kargheit war noch immer genauso, wie sie sie von den Ferien ihrer Kindheit her in Erinnerung hatte. Sie war hier glücklich gewesen, und dieses Glücksgefühl durchströmte sie jetzt von Neuem. Nichts hatte sich verändert. In der Ferne konnte sie die wuchtige Silhouette von Grope Hall ausmachen. Auf ihre ganz eigene Art kehrte sie heim.

19
     
    Weit im Süden

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