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Lauter reizende alte Damen

Lauter reizende alte Damen

Titel: Lauter reizende alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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recht?«
    Tuppence versicherte es ihm. In ihrem Unterbewusstsein rührte sich etwas… Vorfreude? – Wiedererkennen? Masern – jawohl, Masern! Es hatte mit Masern zu tun. Aber was konnte das Haus am Kanal mit Masern zu tun haben?
    Natürlich! Anthea. Anthea war das Patenkind von Tuppence. Und Antheas Tochter Jane war im Internat – im ersten Jahr. Es war Versetzung und Preisverteilung. Anthea hatte angerufen. Ihre beiden jüngeren Kinder hatten Masern. Sie konnte nicht fort. Und Jane würde so enttäuscht sein, wenn keiner käme. Könnte Tuppence vielleicht?
    Tuppence hatte natürlich zugesagt. Sie würde hinfahren, Jane zum Essen ausführen und dann die Veranstaltungen und das Sportfest ansehen. Es gab sogar einen Sonderzug.
    Plötzlich sah sie alles wieder genau vor sich – sogar das Kleid, das sie getragen hatte – ein Sommerkleid mit Kornblumen.
    Und das Haus hatte sie auf der Rückreise gesehen.
    Auf der Hinfahrt hatte sie eine Illustrierte gelesen und kaum aufgeblickt, aber auf der Rückreise hatte sie nichts zu lesen gehabt. Sie hatte aus dem Fenster gesehen, bis sie nach den Anstrengungen des Tages erschöpft eingeschlafen war. Als sie wach wurde, fuhr der Zug an einem Kanal entlang. Die Landschaft war bewaldet; manchmal kam eine Brücke, eine kleine Landstraße oder ein Feldweg – hin und wieder ein Bauernhof – keine Dörfer.
    Dann begann der Zug langsamer zu fahren. Er musste von einem Signal aufgehalten sein. Er hielt stockend neben einer Brücke, einer kleinen gewölbten Brücke, die den Kanal überspannte. Auf der anderen Seite des Kanals lag dicht am Ufer das Haus – das Haus, von dem Tuppence damals schon gedacht hatte, dass sie selten ein so reizvolles gesehen hatte – ein stilles, friedvolles Haus, vergoldet vom Schein der Abendsonne.
    Es war kein Mensch zu sehen, kein Hund, kein Vieh. Aber die grünen Fensterläden waren nicht geschlossen. Das Haus musste bewohnt sein, nur gerade in dem Augenblick war niemand da.
    Ich muss mich nach dem Haus erkundigen, dachte Tuppence damals. Irgendwann muss ich wiederkommen und es mir ansehen. Das ist ein Haus, in dem ich gern wohnen würde.
    Mit einem Ruck war der Zug wieder angefahren.
    Ich muss mir den nächsten Bahnhof merken, damit ich weiß, wo es ist.
    Aber es war kein Bahnhof gekommen. Der Zug fuhr immer weiter, zwanzig Minuten, eine halbe Stunde; und Tuppence sah kein Schild und keinen Ortsnamen. Nur einmal tauchte hinter Feldern ein ferner Kirchturm auf.
    Dann war ein Fabrikgelände gekommen – hohe Schornsteine, Fertigbauhallen – danach wieder Felder.
    Tuppence hatte gedacht: Das Haus ist wie aus einem Traum. Ich werde es wohl doch nie wiedersehen. Es ist zu schwierig. Aber vielleicht… vielleicht bringt mich einmal der Zufall zu ihm.
    Und dann hatte sie nie wieder daran gedacht, bis ein Bild die schlummernden Erinnerungen wachrief. Und nun war, durch eine zufällige Bemerkung von Albert, die Suche zu Ende. Oder, um es genauer zu sagen, die Suche konnte beginnen.
    Tuppence griff drei Karten heraus, einen Führer und einige andere Broschüren. Ungefähr wusste sie, wo sie zu suchen hatte. Janes Schule bezeichnete sie mit einem großen Kreuz – dann die Kleinbahnlinie, die von der Hauptstrecke nach London abging – und etwa das Stück der Strecke, in dem sie geschlafen hatte.
    Das Gebiet, das übrig blieb, zog sich über etliche Meilen hin. Es lag im Norden von Medchester, südöstlich von Market Basing, einer Kleinstadt an einem großen Eisenbahnknotenpunkt, und vermutlich westlich von Shaleborough.
    Sie wollte mit dem Wagen fahren und morgen zeitig aufbrechen.
    Sie erhob sich und ging ins Schlafzimmer. Sie betrachtete lange das Bild über dem Kamin.
    Ja, es bestand kein Zweifel. Das war das Haus, das sie vor drei Jahren vom Zug aus gesehen hatte. Das Haus, das sie eines Tages hatte wiedersehen wollen…
    »Eines Tages« war jetzt. »Eines Tages« war morgen.

7
     
    A m, nächsten Morgen, kurz vor der Abfahrt, betrachtete Tuppence noch einmal das Bild in ihrem Zimmer; nicht weil sie sich das Haus einprägen wollte, sondern wegen seiner Lage in der Landschaft.
    Diesmal würde sie es nicht vom Zugfenster, sondern vom Auto, von der Straße aus sehen. Der Blickwinkel konnte völlig anders sein. Vielleicht gab es viele gewölbte Brücken, vielleicht gab es mehrere, nicht mehr benutzte Kanäle, vielleicht gab es ganz ähnliche Häuser – aber das konnte sie kaum glauben.
    Das Bild war signiert, doch die Schrift war nicht zu entziffern. Sicher

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