Lautlos im Orbit (1988)
Raubtiers, etwa eines großen Jaguars, der ruhelos seinen Käfig durchmißt, weil ihm andere Möglichkeiten, seinem naturgegebenen Bewegungsdrang nachzukommen, nicht geblieben sind.
Und selbstverständlich ist der rostrote Overall über der Brust weit geöffnet. Aber noch scheint er nicht so erregt zu sein, daß er seines beliebten psychologischen Hilfsmittels bedarf. Er hat beide Hände tief in den Schenkeltaschen vergraben.
»Setzt euch doch«, sagt er, ohne dabei seinen eintönigen Marsch zu unterbrechen. Wieder windet er sich zwischen Tisch und Kommunikatorwand hindurch. Seine Schritte hallen auf dem Kabinenboden.
Schließlich bleibt er stehen. Ausgerechnet in dem schmalen Spalt zwischen Tisch und Kommunikator. Es sieht aus, als benötige er diesen Halt, die Knie gegen die Kante der Tischplatte und den Rücken gegen die Komwand gestützt.
Ich frage mich, wie er beginnen wird. Dies wird keine Diskussion werden, bei der er sein Ziel erst einkreist. In einem Fall wie diesem springt er lieber sofort ins Wasser und stellt danach fest, ob es zu kalt, zu heiß oder vielleicht zufällig von angenehmer Temperatur ist. Kann sein, daß er mir auf den Kopf zusagt, ich hätte mit Dora gemeinsame Sache gemacht. Über die persönlichen Kontakte hinaus. Ich halte es für unmöglich, daß ihm dieser Gedanke noch immer nicht gekommen ist.
»Du hattest recht, Philipp«, sagt er da. »Es wird eine Menge Ärger geben.«
Newman blickt auf. »Ärger? Wieso?«
»Aber Harold.« Glenn Morris sagt es in einem Ton, als habe er ein begriffsstutziges Kind vor sich. »Weshalb, meinst du, hat sich Dora Taylor auf die andere Seite geschlagen?«
Newman scheint über ausgeprägte schauspielerische Fähigkeiten zu verfügen. Er tut, als verstehe er erst jetzt, worum es dem Commander geht, und der Ausdruck langsamen Begreifens auf seinem Gesicht wirkt durchaus echt.
»Ah, die Tests! Ich verstehe.« Er nickt ernsthaft. »Aber die kann man uns nicht vorwerfen. Uns nicht! Wir haben einen Befehl ausgeführt. Es ist nicht unsere Aufgabe, über die moralische Berechtigung…«
»Sie enttäuschen mich, Captain Newman. Weil Sie ein für Schwächlinge typisches Argument benutzen. Befehlsnotstand! Bedeutet das nicht, daß Sie den Befehl für falsch oder überflüssig hielten und Ihren Anteil an der Ausführung nur aus Gründen der Disziplin leisteten?«
»Nein, Sir!«
»Erklären Sie mir das, bitte!«
»Das eine schließt das andere nicht aus, Sir.«
Morris atmet fauchend aus. »Verstehe ich nicht. Sie vielleicht, McBruns?«
»Ich glaube schon, Sir!«
»Setzen Sie sich endlich, Newman! Und Sie erklären mir die Zusammenhänge, McBruns!«
»Ganz einfach, Sir. Der Sinn eigener moralischer Wertungen ist im Bereich des Militärs erheblich eingeschränkt. Schließlich ist die Deformation oder Aufhebung individueller Moralkategorien eine der Grundaufgaben der Ausbildung. Ein guter Soldat soll nicht denken müssen, bevor er handelt, er soll automatisch funktionieren. Die moralische Wertung eines Befehls würde dessen Ausführung in Frage stellen. Zumindest aber verzögern. Sie ist also schädlich.
Nun ergibt sich aber andererseits aus der Tatsache, daß ein Soldat keine moralischen Maßstäbe anlegen darf, sein Recht, von einem Befehlsnotstand zu sprechen. Auch dann, wenn ihm der Gedanke, damit sein Gewissen entlasten zu können, überhaupt nicht gekommen ist, weil er sich nichts vorzustellen vermag, was es belasten könnte. Dieser Fakt existiert unabhängig von seiner Einstellung zu den Dingen, er existiert gewissermaßen in absoluter Form. Denn dies alles hat nicht das geringste damit zu tön, ob er den Befehl später, nachdem er Gelegenheit zu eingehender Überlegung und damit verbundener Wertung hatte, für gut, schlecht, notwendig oder auch amoralisch hält.
Gerade das System der Automatisierung von Handlungen ist es ja, was einen Einfluß individueller Wertungen auf die militärische Praxis verhindert. Dieses System ist notwendig, um Schlagkraft und Handlungsfähigkeit zu gewährleisten. Aber es kann natürlich nicht verhindern, daß sich das Gewissen des Ausführenden, falls er ein solches besitzt, bei passender Gelegenheit mit den Geschehnissen zu befassen beginnt.
Dieses minimale Recht muß man sogar einem Soldaten zugestehen, auch einem, von dem man meint, eigenes Denken und Abwägen seien ihm längst abhanden gekommen. Und das kann man sich ja auch durchaus leisten, weil nachträgliche Wertungen für das momentane Funktionieren einer
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