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Lautlos im Orbit (1988)

Titel: Lautlos im Orbit (1988) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus - Lautlos im Orbit Frühauf
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Strukturen, die sich, einmal ins Bewußtsein gedrungen, nur schwer wieder auflösen ließen. So sah er eines Abends rechts und links in der Nähe der Wände zwei wie in einem Alptraum erstarrte Atompilze.
    Als es ihm nicht gelang, dieses Schreckensbild zu verdrängen, bat er Jarina, die Wolken aus Tüll doch durch einfache Scheibengardinen zu ersetzen, wie er sie von zu Hause gewöhnt war.
    »Aber sie sind doch sehr schön«, sagte das Mädchen. »Findest du nicht, daß das Zimmer durch sie freundlicher und heller wirkt?«
    »Jemand hat die Schönheit eines Atompilzes mit der Morgenröte verglichen. Er sagte, es gäbe nichts Herrlicheres als die Farbenorgie der aufstrebenden Explosionsmassen, und er zog daraus den Schluß, daß die Natur außerstande ist, zwischen Schönem und Entsetzlichem zu unterscheiden.«
    Sie lachte. »Ich glaube, daß seine Phantasie mit ihm durchgegangen ist, als er das sagte.«
    »Nein, nein!« erwiderte er. »An diesem Schluß ist etwas Wahres. Gäbe es denn sonst Menschen, die mit dem Gedanken spielen, Millionen anderer Menschen im atomaren Feuer zu verbrennen?«
    »Ich weiß, daß es die gibt«, sagte sie, plötzlich ernst geworden. »Aber ich weiß auch, daß sie keine Chance haben. Wir sind Milliarden, Phil, sie aber sind nur einige Hundert. Weshalb also sollten wir Angst vor ihnen haben? Es gibt sie, ja! Aber gibt es nicht auch Diebe, Säufer und Mörder?« Und nach einer kleinen Pause: »Oder Psychopaten und Wahnsinnige?«
    »Du meinst also, man müßte sie zu den psychisch Kranken zählen?«
    Sie nickte ernsthaft. »Zumindest in gewissem Sinn. Nach meinem Verständnis leiden sie unter psychischen Abweichungen von der Norm.«
    Das eigentlich war es, was er nicht begriff: Daß man in diesem Land bereit war, Aggressivität, Vernichtungssucht, Herrschaftsstreben und Selbstüberhebung als eine besondere Art von Krankheit zu betrachten. Es war, als wollte man einen Mörder mit der Begründung entschuldigen, er habe so handeln müssen, weil es in seiner Natur läge.
    Diese Menschen schienen in einem angenehm temperierten und schallisolierten Raum zu leben, der sie von allen Gefahren und Wirrnissen der wirklichen Welt abschirmte, nichts von all der menschlichen Niedertracht und Bosheit reichte an sie heran.
    Beispielsweise redeten sie nur selten von jenen, die für dieses Land gefallen waren, von den Millionen Ermordeter, und nie zeigten sie etwas wie Zorn auf diejenigen, die all die Toten auf dem Gewissen hatten. Sie sprachen von Frieden und Kooperation, sie boten denen die Hand, deren Krallen sich bereits nach ihren Hälsen reckten. Sie waren wie ihr Land, groß und stark und freundlich, und bei alldem hatten sie sich die Zutraulichkeit wohlgeborgener Kinder bewahrt.
    »Ich fürchte, liebe Jarina«, sagte er, »daß eines nicht mehr allzu fernen Tages in diesem deinem Land fürchterliche Blumen und Bäume wachsen werden, nämlich Blumen aus Feuer und Bäume aus zu Asche verbrannten Leibern.«
    Da endlich fuhr sie auf. »Nein!« rief sie, und ihre eben noch verträumt blickenden Augen waren hart geworden. Er sah eine Mischung aus Entsetzen und Zorn in ihnen, und er vermochte nicht zu sagen, was überwog. »Nein!« wiederholte sie. »Das wird nie geschehen! Denn hierzulande liebt man die Erde und die Menschen. Vor allem aber liebt man das Leben. Und wird es doch ohne Bedenken einsetzen, sobald es sich als notwendig erweisen sollte. Es wäre nicht das erstemal, daß die Völker dieses Landes wie ein Mann zu den Waffen greifen, um ihre Heimat zu verteidigen. Und, Philipp, sie wurden niemals besiegt. Nein, an das Gute im Menschen zu glauben ist kein Zeichen von Schwäche. Das Gegenteil scheint mir der Fall zu sein, ich halte das Wissen um die natürliche Würde des Phänomens Mensch für eine unserer größten Stärken.«
    Ihre unpathetische Überzeugung beeindruckte ihn, wenn er ihr auch nicht beipflichten konnte. »Unheilbare Philanthropen seid ihr«, sagte er. »Große Kinder!«
    Sie nahm es ihm nicht übel, ihre Augen sahen schon wieder sehr verträumt aus. Vielleicht sah sie einen bunten Schmetterling vor sich oder einen sich im Wind wiegenden Grashalm, keinesfalls aber einen Bombentrichter, auf dessen Grund sich schwarzes Wasser sammelte.
    Nein, die Gespräche mit Jarina waren nicht dazu angetan, einen kritischen Geist wie den seinen zu beruhigen. Aber sie zeigten ihm, daß er das richtige Ziel gewählt hatte, daß er verpflichtet war, seinen Weg mit all dem unbeugsamen Willen, den ihm

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