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Lautlos im Orbit (1988)

Titel: Lautlos im Orbit (1988) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus - Lautlos im Orbit Frühauf
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Schande, Junge!« Von Sandy hatte er nicht einmal einen Gruß bestellt.
    Das Schiff war ein holländischer Krabbenfänger gewesen, dessen an Auslegern hängende Netze über das dunkle Wasser geragt hatten wie die ausgebreiteten Schwingen eines schwarzen Albatros, und die Männer an Bord hatten in einer Sprache geredet, die ihm seltsam heimisch erschienen war, von der er jedoch kein Wort hatte verstehen können. Sie hatte geklungen wie ein irischer Dialekt, bei dem absichtlich die Vokale vertauscht worden waren.
     
    Von da an ist ihm eigentlich wenig in Erinnerung geblieben. Sein Leben hat erst wieder richtig begonnen, als er in der Stadt Pskow eine vorläufige Heimat gefunden hatte.
    Dazwischen lag eine monatelange Irrfahrt durch Europa, eine Odyssee, die ihn immer erneut an fremde Gestade warf, wo er nur wenige Tage, wenn es hoch kam, einige Wochen lang verweilen durfte, zu kurz, um bleibende Eindrücke zu gewinnen. Was weiß ein Stück Treibholz von den Stränden, an denen es, Spielzeug des Windes und der Wellen, vorüberdriftet?
    Er hatte das Gefühl, zu einer Sache geworden zu sein, die, sorgsam verpackt, von Hand zu Hand weitergereicht wurde, stumm, eilig und auf so verschlungenen Wegen, daß sie nicht nachzuvollziehen waren. Bis dann plötzlich, nach einer Zeit, die ihm wie hundert Jahre erscheinen wollte, Licht in sein Leben brach, bis das Ziel, das man für ihn ausgewählt hatte, endlich erreicht war. Der unvermittelte Stillstand erschütterte ihn mehr als die bisherige, wie er meinte, unkoordinierte Bewegung, hinter der sich doch ein wohldurchdachter Plan verbergen mußte.
     
    Pskow also hieß die Stadt, in der er zu vorläufiger Ruhe kam. Das war ein Name, der ihm weit schwerer über die Zunge ging als beispielsweise Liisnaskeacoalisheart oder Coandanaglishbofin, es war der Name des Ortes, an dem er sich von etwas erholen sollte, was ihn sein Leben lang belasten würde.
    Es ist ein Name, der für fünf Jahre seines Lebens steht, für Jahre, in denen er mehr als in allen vorherigen zusammengenommen gelernt, aber weniger als in einem halben Jahr seines bisherigen Daseins erlebt hat. Von der Bekanntschaft mit Jarina abgesehen. Aber auch die hatte nichts Überschäumendes, sie war ausschließlich von leisen Tönen geprägt, was nicht verhindert, daß sie immer in ihm nachklingen werden.
     
    In gewisser Weise gefiel ihm die Stadt. Sie war größer als die Orte, die er bisher kennengelernt hatte. Sie war sogar größer als Belfast, das er einmal mit Pa besucht hatte, und viel größer als Londonderry. Und sie war von Neubaugebieten umgeben, deren Architektur er als optimal und deren Anlage er als menschenfreundlich empfand. Er begriff nicht, weshalb sie weit weniger beliebt waren als die Wohnviertel im Zentrum, deren wesentlich ältere Häuser sich von denen Belfasts kaum unterschieden.
    Was ihm von Anfang an fehlte, das waren die Berge und das ewig unruhige Meer. Das Land um Pskow war flach wie ein riesiger, leerer Kuchenteller, und der suchende Blick trieb hinaus ins Uferlose, ohne Halt und ohne Ziel. Da war nichts, an das er sich hätte klammern können, nichts als endlose Weite, über die im Herbst gigantische Pflüge, im zeitigen Frühjahr breithüftige Säkombines und im Herbst wuchtige Mähdrescher krochen, stets in Staubwolken gehüllt. In den Zeiträumen dazwischen bot sich die Ebene entweder in trostlos weißer Eintönigkeit dar oder als sacht und endlos wogendes Kornfeld. Das schien ihm die kürzeste aller Zeiten, ganz so, als wären die Pflanzen irgendwie Fremdlinge auf diesem glattgehobelten Stück Erde.
    Das Wasser der Bucht, die jenseits der Straße bis fast an die Stadtgrenze heranreichte, lag übrigens meist so ruhig in der klaren Luft, daß man meinen konnte, es sei zu Glas geronnen.
    Mehr aber noch litt er, zumindest in der ersten Zeit, unter Kontaktmangel. Da waren die drei oder vier Bezugspersonen, die ihn acht bis zehn Stunden täglich in der Landessprache unterrichteten, ihn mit den Besonderheiten der gesellschaftlichen Bedingungen und den Sitten der Region vertraut zu machen suchten und im übrigen von einer aufopfernden Freundlichkeit waren, die er nicht verdient zu haben meinte.
    Anfangs war er sehr unglücklich. Obgleich er wußte, daß angesichts der Veränderung, die sich in seinem Leben vollzogen hatte, nichts undankbarer erscheinen mußte als die Niedergeschlagenheit, die er empfand, vermochte er nicht, seine Lage als angenehm oder auch nur annehmbar zu akzeptieren. Ihm war, als

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