Lautlos im Orbit (1988)
wie der Verband, der den Ansatz ihres dunklen Haares wie ein Stirnband verdeckt. Die Waffe hat sie gesenkt, als wäre die zu schwer für den kraftlos gewordenen Arm.
Einem inneren Antrieb nachgebend, schiebt er sich von Skeltons Sessel ab und schwebt zu ihr hinüber. Er nimmt ihr die Waffe aus der Hand, deren Finger den Kolben längst nicht mehr halten, und schiebt das Rohr in die Oberschenkeltasche seines Overalls. Dann faßt er Dora an beiden Schultern und zieht sie zu sieh in die Zentrale hinein. Nichts scheint ihm jetzt wichtiger als eine exakte Analyse der Situation und unverzügliches Handeln. Doch nichts ist ihm im Moment ferner als die Fähigkeit zu emotionslosem Abwägen. Er weiß nur, daß sie sich in einer äußerst prekären Lage befinden.
Er spürt die heftigen Schläge seines Herzens, und um überhaupt etwas zu tun, dirigiert er die in der Schwerelosigkeit haltlos schwebende Dora hinüber zu dem Sessel, in dessen Gurten die Leiche Skeltons hängt. Dora läßt es mit sich geschehen. Sie wirkt auf ihn, als sei sie absolut leer, ohne Gedanken und ohne Kraft, eine Hülle, deren Inhalt sich in einer einzigen, außerordentlichen Handlung verzehrt hat.
Die Nähe des Toten kann er ihr nicht ersparen. Sein erster, rationaler Gedanke ist, daß sie ihn mit ihren Körpern abschirmen müssen, denn jeden Augenblick kann einer der anderen die Zentrale betreten.
So schweben sie hinter dem Toten, blicken über dessen ein wenig schräg hängenden Kopf hinweg auf den erloschenen Schirm der Feuerleitanlage, und während sich ringsum eine fast körperlich spürbare Stille ausbreitet, die durch die aus weiter Entfernung herüberhallenden Schläge der Fügegeräte eher vertieft als aufgehoben wird, beginnen sich Philipps Gedanken endlich zu ordnen. Er könnte die Wege, die sie gegangen sind, später sicherlich nicht nachvollziehen, er spürt nur, daß da plötzlich die Lösung ist, aufleuchtend wie ein Blitz in der Finsternis. Aber es ist eine Lösung, die ihm im ersten Augenblick wie der Einfall eines Irrsinnigen erscheinen will.
Trotzdem geht er, überzeugt, daß sich alle anderen Möglichkeiten als ebenso verrückt herausstellen würden, aber wahrscheinlich noch geringere Erfolgschancen hätten, unverzüglich an die Ausführung.
Als erstes nimmt er auch Skeltons Waffe an sich. Es ist ihm unangenehm, die Leiche berühren zu müssen, der Körper pendelt in den Gurten hin und her, als er ihn in die günstigste Position zu bringen versucht. Dann erst gelingt es ihm, die Hand in den schmalen Spalt zwischen der Seitenschale des Sessels und dem Oberschenkel des Toten zu schieben.
Danach wendet er sich Dora zu. Das Leben ist in ihre Augen zurückgekehrt, und sie blickt ihn an mit einer Mischung aus Interesse und Verwunderung. »Sie dürfen ihn hier nicht finden«, sagt er.
Sie hebt langsam die Schultern. »Ist es nicht einerlei, ob man ihn hier oder woanders entdeckt?«
»Nicht, wenn es uns gelingt, ihn unbemerkt in die Nähe der Schleuse fünf zu bringen.«
Sie begreift sofort, und ein matter Schimmer erhellt ihr Gesicht. Sie strafft sich.
»Faß seinen linken Arm an!« sagt er, und gehorsam wie ein Kind greift sie zu.
Sie nehmen den Toten in die Mitte und schieben sich mit sparsamen Bewegungen hinaus in den Gang, der leer und verlassen liegt, als befände sich an Bord dieser Station niemand außer ihnen – zwei Lebenden und einem Toten. Nur die hallenden Schläge aus der Gegend der Sektion vier laufen, vielfach gebrochen, an den gewölbten Wänden entlang. Doch auch sie klingen jetzt leblos, mechanisch, wie eine Glocke, die ihre letzte Kraft in verebbenden Schwingungen verströmt.
»Sie werden alle dort vorn sein, in der Nähe der Schleuse fünf«, sagt Dora unterwegs. Ihre Stimme hat ein wenig an Klarheit gewonnen, aber noch immer ist sie leise und ohne den ihm liebgewordenen dunklen Klang. Mehr sagt Dora nicht, und sie schweigt auch, als weit vor ihnen das Schott auftaucht, auf dem nach wie vor das gelbe Kreuz blinkt.
Der Gang vor ihnen ist ebenso leer wie die Strecke, die sie hinter sich gebracht haben. Niemand will sich eine Begegnung mit den Monteuren der Basis entgehen lassen.
Er hört das Aufatmen Doras.
Auch der letzte Teil der Aktion verläuft planmäßig. Sie geben den Toten in der Nähe des Außenschotts frei, bremsen die eigene Bewegung ab und beobachten, wie der leblose Körper den Gang entlang weitertreibt, bis die gewölbte Platte der Schleuse ihn auffängt. Der sanfte Anprall verursacht fast
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