Lautlos
Erfordernisse es mit sich brachten, dass der Präsident der Vereinigten Staaten ein paar Nächte in der Air Force One zu campen wünschte, würden sie auch darüber keine Miene verziehen. Im Flugzeug des Präsidenten lebte man ohnehin nicht schlecht, die beiden Bordküchen leisteten hervorragende Arbeit, und man schlief besser als in den meisten Hotels.
Guterson ahnte, worum es in dem Gespräch mit Jelzin ging. Die Verteilung der Kompetenzen innerhalb der Kfor-Friedenstruppe war seit dem Militärisch-Technischen Abkommen vom 9. Juni eher unbefriedigend geregelt. Weniger für die Staaten der Nato als vielmehr für die russischen Streitkräfte. Moskau hatte immer noch daran zu beißen, dass die internationale Friedenstruppe im Grunde eine Nato-Truppe mit ein paar russischen Soldaten war. Dennoch hatte sich die Lage mittlerweile entspannt. Auch Jelzin hatte offenbar keine Lust mehr, mit dem Säbel zu rasseln. Guterson schätzte, dass er Clinton in Köln um den Hals fallen und Madeleine Albright küssen würde. Er hoffte beinahe, dass es dazu käme. Das Gesicht der Außenministerin im Augenblick des russischen Schmatzers war ihm, um es mit David Letterman zu sagen, a million bucks wert – mindestens!
Er trat zu einem der Seitenfenster der Air Force One und sah hinaus auf das Vorfeld. Es hatte aufgehört zu regnen. Erste Sonnenstrahlen brachen sich durch die Bewölkung Bahn und schufen glitzernde Reflexe auf dem Beton. Die Gangway war herangefahren, der rote Teppich ausgerollt, gesäumt von zwei Dutzend Soldaten der Bundeswehr im großen Dienstanzug, grünes Barett, Schlips und Kragen, weiße Koppel, schwarz gewienerte Stiefel. Sie sahen zackig und kampfbereit aus mit ihren Gewehren. Wahrscheinlich furchtbar stolz, obwohl es ein Scheißjob war, wie Guterson fand. Jeder Job, bei dem man sich nicht kratzen konnte, wenn es einen juckte, war ein Scheißjob, egal, vor wem man sich respektvoll zu versteifen hatte. Aber dafür waren sie schließlich auch da, um im Ernstfall den Scheißjob zu machen. Und die Ankunft des amerikanischen Präsidenten war der Ernstfall.
Sein Blick ging hinaus aufs Vorfeld. Draußen tummelte sich das Begrüßungskomitee. Einige der Delegierten sahen verstohlen auf die Uhr. Es tat Guterson von Herzen leid, dass sie warten mussten, aber er konnte es nicht ändern.
Sie würden ihren Präsidenten schon bekommen.
WAGNER
Die Flughafenautobahn war unbefahrbar.
Wagner sah ungläubig auf die Mannschaftswagen. Die Zubringer, die von der A4 auf die A559 überleiteten, waren sämtlich abgeriegelt. Sie hatte den Golf über die Autobahn hergeprügelt, hatte rechts überholt, geschnitten und konsequent das Tempolimit überschritten, und jetzt ließ man sie nicht auf die richtige Autobahn.
Natürlich, die Amerikaner und die Sicherheit. Die Kolonne des Präsidenten würde den Weg über die A559 nach Köln und zum Hyatt nehmen. Sogar die Autobahnbrücken sollten abgesperrt werden. Ein Wunder, dass sie überhaupt noch drunter herfahren durfte, aber wahrscheinlich würde sich auch das in den nächsten Minuten ändern.
Fluchend fuhr sie weiter und wechselte auf die A3. Der Verkehr wurde dichter. Auf dem letzten Kilometer vor der Ausfahrt Königsforst schob er sich zäh dahin, dann endlich konnte sie von der Autobahn entwischen und sich dem Flughafen über die Landstraße nähern. Auch hier ging es nicht wesentlich schneller voran. Radio Köln brachte eine Staumeldung nach der anderen. Sie wählte die Nummer der Auskunft und ließ sich mit der Polizeiwache des Flughafens verbinden, was die Telefonistin vor einige Probleme stellte. Als Wagner endlich durchgestellt wurde, erhielt sie ein Nichts von Information. Weder war etwas über den Verbleib O'Connors noch der Polizeimeisterin Gerhard bekannt. Man wusste von einem Unfall im Terminal 2, aber auch nur, dass dort jemand zu Tode gekommen war.
Wagner fühlte ihren Herzschlag stocken. Sie bat um eine Verbindung mit der Polizeimeisterin, aber das schien aus irgendwelchen Gründen nicht möglich zu sein.
Die Blechlawine quälte sich auf den Flughafen zu und wurde immer langsamer.
Den Tränen nahe, wählte Wagner die Nummer von Silberman.
20.07 UHR. LAVALLIER
Abseits zu stehen, konnte Vorteile haben.
Lavallier hatte sich in einiger Entfernung von der Diplomatengruppe postiert und hielt sie im Auge. Hin und wieder wanderte sein Blick routinemäßig zum VIP-Zelt und zu den Absperrungen ringsum. Immer noch war die vordere Tür des Flugzeugs verschlossen. Über die
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