Lautlose Jagd
Kriegshafen Nampo. Sie wollten nie wieder dorthin zurückkehren.
Weißes Haus, Washington, D.C.
(am nächsten Morgen)
»Danke, dass Sie meinen Anruf entgegennehmen, Herr Präsident«, sagte Kevin Martindale über das abhörsichere Videotelefon. Außerhalb des Blickfelds der Videokamera runzelte sein Stabschef und Berater Jerrod Hale bei diesen höflichen Worten des Präsidenten unwillig die Stirn. Kein Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, sagte er in Gedanken tadelnd, sollte einem ausländischen Politiker schöntun, selbst wenn die Lage noch so ernst war. Auch Vizepräsidentin Whiting und Sicherheitsberater Freeman waren im Oval Office - beide außerhalb des Blickfelds der Videokamera.
»Ich freue mich, Ihren Anruf entgegenzunehmen und Ihnen ganz zur Verfügung zu stehen, Sir«, antwortete Kwon Kichae, der Präsident der Vereinigten Republik Korea. Der Mann wirkte heiterer, als Martindale ihn je erlebt hatte. Nun, warum auch nicht? Sein großartiger, kühner Plan zur Wiedervereinigung der beiden Koreas hatte unglaublich gut geklappt.
»Herr Präsident, ich bin soeben von meinen Mitarbeitern über die jüngsten Ereignisse in Nampo informiert worden«, begann der Präsident. »Wir haben von dem ganzen Arsenal von Nuklearsprengköpfen gehört, die im dortigen Hafen beschlagnahmt wurden. Ich beglückwünsche Sie dazu, Sir, dass es gelungen ist, sie ohne Blutvergießen sicherzustellen. Wir alle hätten vermutet, dass die Chinesen sie niemandem kampflos überlassen würden.«
»Ich danke Ihnen für Ihre freundlichen Worte, Mr. President«, antwortete Kwon. »Wir sind uns bewusst, dass nur eine glückliche Fügung und die Götter der Vernunft ein Blutbad verhindert haben. Aber wer nichts als seine Freiheit zu verlieren hat, muss gelegentlich zu verzweifelten Mitteln greifen. Leider erfahre ich von meinen Militäranalytikern, dass es uns vermutlich nur gelungen ist, einen kleinen Teil der in Nampo und im Bereich der Ersten Armee gelagerten Atomwaffen zu beschlagnahmen. Wir befürchten, dass der größte Teil bereits in den ersten Tagen nach der Wiedervereinigung außer Landes gebracht worden ist.«
»Das befürchten wir auch, Herr Präsident«, sagte Martindale.
Er machte eine kurze Pause, dann fuhr er fort: »Herr Präsident, die beschlagnahmten Nuklearsprengköpfe sind der Grund für meinen heutigen Anruf. Von meinen Analytikern höre ich, dass Sie in den vergangenen Tagen in ganz Nordkorea über sechzig solcher Waffenverstecke entdeckt haben - und dabei handelt es sich ausschließlich um Waffenlager, von denen Sie vor der Wiedervereinigung nichts gewusst haben.«
»Das stimmt, Mr. President«, bestätigte Kwon. »Ihre Nachrichtendienste haben Sie zutreffend informiert. Bis heute haben wir...« Er machte eine Pause, um einen Blick in seine Unterlagen zu werfen. »... insgesamt dreiundsechzig Waffenverstecke aufgespürt. Richtig ist auch, dass wir von diesen versteckten Waffen vor der Wiedervereinigung nichts gewusst haben. Bei den meisten scheint es sich um eingelagerte Bomben und Gefechtsköpfe zu handeln, die kommunistische Loyalisten vor uns verstecken wollten. Zum Glück haben Landsleute, die für eine friedliche Wiedervereinigung sind, diese Waffenverstecke gemeldet und unsere Teams zu ihnen geführt.«
»Wir können nicht genau abschätzen, wie viele Bomben und Gefechtsköpfe das ergibt«, fuhr Präsident Martindale fort, »aber wären in jedem Versteck nur zehn aufgefunden worden, wären das mit dem gestrigen Waffenfund in Nampo über sechshundertfünfzig Massenvernichtungswaffen.«
»Das ist in der Tat schockierend«, stimmte Kwon zu, ohne Martindales Schätzung zu bestätigen oder ihr zu widersprechen.
»Wenn man bedenkt, dass die Kommunisten in all diesen Jahren stets bestritten haben, solche Waffen anzuhäufen... Wir können wirklich vo n Glück sagen, dass die Kommunisten keine Gelegenheit mehr hatten, sie gegen uns einzusetzen. Damit hätten sie unsere Bevölkerung zehnmal ausrotten können.«
»Die gesamte Welt ist Ihnen für Ihren Mut, Ihre Klugheit und Ihre Stärke während dieser unvorstellbar schweren Prüfung dankbar, Herr Präsident«, sagte Martindale. Er sah Haies finstere Miene und nickte ihm leicht zu, als gestehe er ein, dass seine Höflichkeit diesmal etwas übertrieben gewesen war. »Diese Waffen waren nicht für Südkorea, sondern für die gesamte Welt eine ernstliche Bedrohung. Wir glauben - und Sie werden diese Annahme sicher bestätigt finden -, dass die Kommunisten
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