Lautloses Duell
starrte auf den Hammer. Dann sah er die Frau genauer an und erkannte, dass ihre Haarwurzeln eine leicht andere Färbung als die Strähnen hatten und dass sie Kontaktlinsen trug. Unter dem verschmierten Make-up, das ihrem Gesicht dieses dicke, teigige Aussehen verlieh, erkannte er schmalere Züge. Was darauf schließen ließ, das auch sie ihren Körper ausgepolstert und damit einem zweifellos durchtrainierten Körper fünfzehn Kilo aufgespeckt hatte.
Erst jetzt fielen ihm ihre Hände auf.
Ihre Finger … die Kuppen schimmerten leicht und wirkten glanzlos. Jetzt kapierte er: Die ganze Zeit über, als sie sich angeblich Nagelhärter aufgetragen hatte, hatte sie sich irgendein Zeug auf die Fingerkuppen geschmiert, um ihr wahres Aussehen zu kaschieren.
Auch sie hat uns social engineered. Vom ersten Tag an.
»Sie sind schon eine ganze Weile hinter ihm her, was?«, flüsterte Gillette.
Nolan nickte. »Seit einem Jahr. Seitdem uns die ersten Gerüchte über Trapdoor zu Ohren kamen.«
»Wer ist ›uns‹?«
Darauf gab sie ihm keine Antwort, aber das war auch nicht nötig. Gillette wusste, dass sie von Horizon On-Line oder eher noch von einem Konsortium von Internet-Providern angeheuert worden war, um den Quellcode von Trapdoor zu finden, die ultimative Voyeur-Software, die uneingeschränkten Zugang zur Privatsphäre ahnungsloser Nutzer verschaffte. Nolans Auftraggeber würden Trapdoor nicht selbst benutzen, sie beabsichtigten vielmehr, wirksame Gegenprogramme schreiben zu lassen und das Programm, das für ihre milliardenschwere Online-Industrie eine tödliche Bedrohung darstellte, zu zerstören oder zu isolieren. Gillette konnte sich lebhaft vorstellen, wie schnell sich die Internet-Kunden von ihren Providern trennen und nie wieder online gehen würden, wenn sie erfuhren, dass irgendwelche Hacker ungehindert in ihren Computern herumschnüffeln und letztendlich alles von ihnen erfahren konnten – sie berauben, sie bloßstellen, ihr ganzes Leben zerstören und sie letztendlich sogar töten konnten.
Nolan hatte Andy Anderson, Bishop und den Rest der CCU für ihren Auftrag benutzt, so wie sie wahrscheinlich die Polizei in Portland und Northern Virginia benutzt hatte, überall dort, wo Phate und Shawn vorher zugeschlagen hatten.
Und wie sie auch Gillette benutzt hatte.
»Hat er Ihnen irgendetwas über den Quellcode erzählt? Wo er ihn versteckt hat, oder so?«
»Nein.«
Warum hätte Phate das tun sollen? Sie musterte ihn eindringlich, aber dann schien sie ihm zu glauben. Sie erhob sich langsam und warf einen Blick zu Phate hinüber. Gillette sah, wie ihre Augen den Hacker auf eine ganz bestimmte Art und Weise fixierten, und er spürte, wie ihn etwas alarmierend durchzuckte. So wie ein Programmierer genau weiß, wie sich eine bestimmte Software von Anfang bis Ende ohne Umwege, ohne überflüssige Abschweifungen verhalten muss, Zeile für Zeile Logik pur, so erkannte Gillette glasklar, was Patricia als Nächstes tun musste.
»Tun Sie’s nicht!«, sagte er eindringlich.
»Ich muss es tun.«
»Nein, müssen Sie nicht. Er wird sich nie wieder in der Öffentlichkeit bewegen können. Er hockt für den Rest seines Lebens im Gefängnis.«
»Glauben Sie wirklich, das Gefängnis hält jemanden wie ihn davon ab, online zu gehen?«
»Das dürfen Sie nicht!«
»Trapdoor ist viel zu gefährlich«, erklärte sie ihm. »Er hat den Code im Kopf. Und vielleicht ein Dutzend andere Programme, die genauso gefährlich sind.«
»Nein«, flüsterte Gillette verzweifelt. »Es hat noch nie einen so guten Hacker wie ihn gegeben. Vielleicht gibt es nie wieder einen Besseren. Er kann Code schreiben, den sich die meisten von uns nicht einmal vorzustellen vermögen.«
Sie war fast bei ihm.
»Nein! Nicht!«, schrie Gillette.
Aber er wusste, dass sein Protest vergeblich war.
Aus ihrer Laptop-Tasche zog sie einen kleinen Lederbehälter und daraus eine Spritze, in die sie eine durchsichtige Flüssigkeit aufzog. Ohne zu zögern, beugte sie sich über den Cracker und injizierte den Spritzeninhalt in Phates Hals. Er wehrte sich nicht, und einen Augenblick hatte Gillette den Eindruck, als wüsste er genau, was vor sich ging, als ergebe er sich völlig in sein Schicksal. Phate richtete den Blick auf Gillette, dann auf die Holzkiste mit dem Apple-Computer, der auf einem Tisch stand. Die frühen Apples waren echte Hacker-Maschinen gewesen; man kaufte nur die Grundbestandteile und musste die Kiste zu Hause zusammenbauen. Phate starrte das Gerät an,
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