Lautloses Duell
als wollte er ihm etwas Wichtiges mitteilen. Dann wechselte sein Blick wieder zu Gillette. »Wer …«, setzte er an, doch seine Worte erstarben in unverständlichem Flüstern.
Gillette schüttelte den Kopf.
Phate hustete und fuhr mit schwacher Stimme fort. »Wer … möchtest du sein?« Dann kippte sein Kopf nach vorne, und er hörte auf zu atmen.
Gillette empfand unweigerlich ein Gefühl von Verlust und Trauer. Gewiss, Jon Patrick Holloway hatte den Tod verdient. Er war böse und löschte das Leben anderer Menschen mit der gleichen Sorglosigkeit aus, wie er einer digitalen Figur aus einem MUDGame das Herz aus dem Leib riss. Trotzdem verbarg sich in dem jungen Mann eine andere Person: jemand, der Programme schrieb, die einer Sinfonie in nichts nachstanden, jemand, aus dessen Rhythmus auf der Tastatur man das stumme Lachen der Hacker hören konnte, in dessen Code sich die schiere Brillanz eines ungebundenen Geistes offenbarte, der – wäre er vor ein paar Jahren nur auf einen etwas anderen Kurs geführt worden – Jon Holloway zu einem von der ganzen Welt bewunderten Computer-Guru hätte machen können.
Er war auch derjenige gewesen, mit dem Gillette ein paar wirklich geile Hacks durchgezogen hatte. Eine Beziehung, die beim gemeinsamen Erforschen des Blauen Nichts entsteht, verliert sich nie mehr.
Dann erhob sich Patricia Nolan und sah Gillette an.
Ich bin tot, dachte er.
Sie zog noch etwas Flüssigkeit in das Glasröhrchen auf und seufzte. Zumindest dieser letzte Mord würde ihr schwer fallen.
»Nein«, flüsterte er und schüttelte den Kopf. »Ich verrate nichts.«
Er versuchte aufzustehen, wenigstens von ihr wegzukriechen, doch seine Muskeln reagierten immer noch völlig unkoordiniert. Sie ging neben ihm in die Hocke, zog seinen Kragen nach unten und massierte seinen Hals, um die Arterie zu finden.
Gillette sah zur anderen Seite des Raumes, wo Bishop noch immer besinnungslos auf dem Boden lag. Der Detective ist das nächste Opfer, dachte er bekümmert.
Nolan kam mit der Nadel näher.
»Nein«, flüsterte Gillette. Er schloss die Augen und dachte an Ellie. »Nein! Tun Sie das nicht!«
In diesem Augenblick rief eine laute Männerstimme: »He! Aufstehen, da drüben!«
Ohne eine Sekunde zu überlegen, ließ Nolan die Spritze fallen und zog eine Pistole aus ihrer Laptop-Tasche.
Doch bevor sie die Waffe auf ein Ziel richten konnte, erschütterte eine gewaltige Explosion die Luft. Nolan stieß einen kurzen Schrei aus und kippte nach hinten, als eine Kugel über ihren Kopf zischte. Tony Mott beugte sich vom Korridor aus in das Büro und gab noch einen Schuss aus seiner riesigen silbernen Pistole ab. Er verfehlte sie zwar abermals, doch diesmal war der Einschlag schon dichter dran.
Nolan kam kurz hoch und feuerte ihrerseits ihre Pistole ab, ein wesentlich kleineres Modell als das von Mott. Auch sie traf nicht.
»Gillette«, rief Mott, »bleiben Sie unten! Wo ist Frank?«
»Er ist verletzt, aber er lebt«, rief der Hacker zurück. »In dem Büro gleich links von Ihnen.«
Der CCU-Polizist kroch mit seinen Radlerhosen, einem Guess-Hemd und der vom Hals baumelnden Oakley-Brille weiter in den Lagerraum hinein. Mit seinem nächsten Schuss zwang er Nolan, in Deckung zu bleiben. Sie feuerte mehrere Male zurück, ohne ihn zu treffen.
»Was ist hier überhaupt los, verflucht noch mal? Was hat sie denn vor?«
»Sie hat Holloway getötet. Ich sollte als Nächster drankommen.«
Nolan gab noch einen Schuss ab und kroch dann auf das andere Ende der Lagerhalle zu.
Mott packte Gillette am Aufschlag der Hose, zog ihn in Deckung und verschoss dann den Rest seines Magazins in Nolans Richtung. Bei all seiner Begeisterung für SWAT-Teams und taktische Einsätze war der Polizist ein wahrlich erbärmlicher Schütze.
Als er nachlud, tauchte Nolan hinter ein paar Kartons auf.
»Sind Sie verletzt?« Motts Hände zitterten. Der Schusswechsel hatte ihn völlig außer Atem gebracht.
»Nein, sie hat mich mit einem Taser oder so was erwischt. Ich kann mich nicht bewegen.«
»Was ist mit Frank?«
»Keine Schusswunde. Aber wir müssen ihn zu einem Arzt bringen. Woher wussten Sie, dass wir hier sind?«
»Frank rief an, damit ich die Eintragungen von diesem Laden überprüfe.«
Gillette erinnerte sich daran, dass Bishop von Nolans Hotelzimmer aus angerufen hatte.
Der junge Polizist suchte das Warenlager nach Nolan ab und fuhr dabei fort: »Dieser Arsch Backle hat Bishops Telefon abgehört. Er hat die Adresse mitgekriegt und
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