Lautloses Duell
überdenken. Aber es waren keine neuen Nachrichten angekommen. Er loggte aus, verließ den Raum und schaltete die Deckenleuchte im Esszimmer aus.
Im gleichen Augenblick ging der Bildschirmschoner seines Rechners an und leuchtete hell in den abgedunkelten Raum. Langsam scrollten einige Worte über den Bildschirm und verkündeten:
Zugriff ist Gott.
14 Kapitel 00001110
»Hier, ich habe Ihnen was mitgebracht.«
Gillette drehte sich um. Patricia Nolan streckte ihm eine Tasse Kaffee entgegen. »Milch und Zucker, stimmt doch?«
Er nickte. »Vielen Dank.«
»Hab mir gemerkt, dass Sie ihn so trinken«, sagte sie.
Beinahe hätte er ihr erzählt, dass die Gefangenen in San ’Ho Zigaretten gegen Päckchen mit echtem Kaffee eintauschten, den sie dann im heißen Wasser aus dem Wasserhahn aufbrühten. Doch so interessant diese Bagatellen aus dem Gefängnisalltag sein mochten, entschied er sich doch dafür, dass er nicht jeden, auch sich selbst nicht, daran erinnern wollte, dass er ein Sträfling war.
Sie setzte sich neben ihn, zupfte an ihrem unvorteilhaft geschnittenen Strickkleid herum, zog den Nagellack aus ihrer Louis-Vuitten-Tasche und drehte das Fläschchen auf. Nolan fiel auf, dass er das Fläschchen ansah.
»Entschuldigung«, sagte er. »Manchmal bin ich wirklich krankhaft neugierig. Ich kann einfach nicht anders. Darf ich Sie fragen, warum Sie sich ständig die Nägel lackieren?«
»Das ist kein Nagellack, sondern Härter. Dieses ständige Getippe ruiniert mir die Nägel.« Sie sah ihm kurz in die Augen und senkte den Blick wieder prüfend auf ihre Fingernägel. »Ich könnte sie kurz schneiden, aber das passt nicht zu meinem Plan.« Auf dem Wort »Plan« lag eine gewisse Betonung, als hätte sie sich dazu entschlossen, ihn in sehr persönliche Angelegenheiten einzuweihen – Angelegenheiten, bei denen er sich nicht sicher war, ob er sie wirklich wissen wollte.
»Ich bin in diesem Jahr eines schönen Morgens aufgewacht, und zwar am Neujahrsmorgen«, fuhr sie fort, »nachdem ich den Feiertag ganz allein im Flugzeug verbracht hatte, und mit einem Mal war mir klar, dass ich eine vierunddreißigjährige, allein stehende Brillenschlange bin, die mit einer Katze und Halbleiterprodukten für zwanzigtausend Dollar in ihrem Schlafzimmer allein in ihrer Wohnung haust. Ich beschloss, meine Lebensgewohnheiten auf der Stelle zu ändern. Ich bin zwar nicht gerade ein Modepüppchen, aber ich dachte mir, das eine oder andere lässt sich bestimmt beheben. Nägel, Frisur, Gewicht, so was. Ich hasse Sport, aber ich stehe jeden Morgen um fünf im Fitnessclub. Die reinste Step-Aerobic-Queen.«
»Sie haben wirklich hübsche Fingernägel«, meinte Gillette.
»Danke. Ich hab auch eine wirklich gut durchtrainierte Oberschenkelmuskulatur«, sagte sie und schlug den Blick nieder. Gillette fiel ein, dass sie ihren Plan womöglich um einen kleinen Grundkurs im Flirten erweitern sollte; auf diesem Gebiet fehlte ihr eindeutig ein wenig Übung.
»Sind Sie verheiratet?«, fragte sie.
»Geschieden.«
»Ich war einmal dicht dran …«, gestand sie ihm, ließ es aber dabei bewenden.
Verschwende deine Energie nicht an mich, Mädchen, dachte er. Bei mir setzt du aufs falsche Pferd.
Bei diesem Thema wurden seine Gedanken jedoch unweigerlich auf Elana gelenkt, seine Exfrau, und das deprimierte ihn. Er verfiel in Schweigen und nickte nur ab und zu, während ihm Nolan von ihrem Leben bei Horizon On-Line erzählte, das eigentlich viel interessanter sei, als man es sich vorstellte (obwohl keine ihrer Ausführungen das vermuten ließ), von ihrem Leben in Seattle, mit ihren Freundinnen und ihrer gestromten Katze, von den bizarren Verabredungen, die sie mit diversen Computerfritzen erlebt hatte.
Volle zehn Minuten lang absorbierte er die Informationen höflich, wenn auch nicht sonderlich aufmerksam. Dann gab seine Kiste einen lauten Pieps von sich, und Gillette schaute auf den Bildschirm.
Suchergebnis:
Suchanfrage: »Phate«
Location: alt.pictures.true.crime
Status: newsgroup reference
»Mein Bot hat einen Fisch gefangen«, rief er. »Einen Hinweis auf Phate, in einer Newsgroup.«
Newsgroups – jene Foren, in denen man sich über alle erdenklichen Themen austauschen kann – spielen sich in einer Unterabteilung des Internet, dem so genannten Usenet ab. Die Abkürzung steht für Unix User Network. Das Usenet wurde 1979 ins Leben gerufen, um Nachrichten zwischen der University of North Carolina und der Duke University auszutauschen, diente zu
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