Lavendel und Blütenstaub
war. Außerdem räumte Anna Stella das Recht ein, die Patientenverfügung durchzusetzen.
Der letzte Abschnitt war für beide der schwierigste.
Stella atmete tief durch. "Was soll mit deinem Körper nach deinem Tod geschehen?" Sie legte ihre Hand auf Annas Handrücken und streichelte ihn sanft. "Willst du irgendetwas der Wissenschaft zur Verfügung stellen?" Sie versuchte den dicken Kloß in ihrem Hals hinunter zu schlucken. Das Thema ging ihr sehr nahe. Sie wunderte sich, dass ihre Mutter so gefasst wirkte.
Anna überlegte. "Nein. Ich denke nicht, dass die Wissenschaft an meinem alten Körper interessiert ist."
Stella kreuzte auf einer ganzen Seite Nein an. Jedes erdenkliche Organ oder Gewebe konnte gespendet werden, was Anna nicht wollte.
Darüber hatte sich Stella noch nie Gedanken gemacht. Würde sie etwas spenden?, fragte sie sich. Nein, wohl kaum. Der Gedanke war für sie abschreckend.
Nächster Abschnitt. Bestattung und Abdankung. Sie schluckte wieder und sah angespannt zu Anna. "Art der Bestattung", las sie mit leiser Stimme vor.
Anna schwieg und sah auf die Unterlagen. "Ich denke, das mache ich später." Nach einer kurzen Pause sah sie Stella an: "Danke, mein Sternchen." Sie lächelte.
Stella lächelte tapfer zurück. "Gerne. Du kannst immer auf mich zählen."
"Ich weiß."
Stella räusperte sich und stand auf. "Ich mach' uns etwas zu Essen. Jonathan müsste bald da sein."
Nach dem späten Mittagessen saßen Stella und Anna im Garten unter dem Nussbaum. Jonathan war nach oben gegangen und ließ Luft in das Gästebett laufen, das er von zu Hause mitgebracht hatte. Leise hörte Stella, wie die elektrische Luftpumpe das Bett aufblies.
Sie hatten vereinbart, dass Stella neben Annas Schlafzimmer im Schrankraum auf dem Gästebett schlafen würde. So konnte sie rasch zur Stelle sein, wenn Anna Hilfe brauchte. Jonathan würde im Wohnzimmer schlafen, auch wenn er schon beim Anblick der in die Jahre gekommenen Couch Kreuzschmerzen bekam.
Während Stella neben Anna saß, dachte sie mit Unbehagen an den morgigen Tag. Nicht nur, dass sie einen längeren Arbeitsweg hatte als von ihr zuhause, auch hatte sie ein ungutes Gefühl, da sie Anna in Jonathans Obhut geben musste.
Was, wenn der Junge überfordert war? Wenn Anna Schmerzen bekam?
Andererseits war Jonathan zwar ein fauler Bengel, er konnte jedoch keiner Fliege etwas zu Leide tun und half anderen Menschen, wenn sie in Not waren. Er würde sich schon um seine Oma kümmern, sprach sich Stella in Gedanken Mut zu.
"Glaubst du eigentlich an den Himmel?", fragte Anna unvermittelt in die Ruhe des Gartens hinein.
Stella, die gedanklich meilenweit weg gewesen war, sah verwirrt auf. "Wie kommst du darauf?"
"Ach, nur so", antwortete Anna schulterzuckend und sah wieder auf einen Punkt in der Ferne.
Stella dachte kurz nach. Langsam sagte sie: "Ich weiß nicht. Irgendwie habe ich mir nie so recht darüber Gedanken gemacht." Sie bückte sich, riss ein paar Grashalme ab und zupfte mit den Fingern daran. "Nach Papas Tod hatte ich ein paar Bücher gelesen, weil ich wissen wollte, was es nach dem Tod wohl gibt."
"Und, was gibt es nach dem Tod?" Annas Blick war noch immer weit weg. Sie klang beinahe abwesend.
"Es gibt Menschen, die glauben, dass es einen Himmel gibt, in dem man dann quasi als Engel herumfliegt." Stella lachte. Sie ließ die Grashalme in die Wiese zurückfallen und sah Anna an. "Aber das ist doch absurd, oder?"
"Warum? Glaubst du das denn nicht?"
"Nein", sagte Stella, nun wieder ernster. "Das glaube ich nicht. Ich fände den Gedanken, dass Papa woanders glücklich sein könnte, unerträglich. Es ist leichter zu glauben, dass es nach dem Tod aus ist."
"Und, ist es das? Leichter?"
"Nein, nicht wirklich." Stella blickte auf ihre Füße hinab. Die nackten Zehen spielten mit den Grashalmen. Es fühlte sich angenehm kühl an. "Ich fand den Tod grausam, schmerzhaft und furchtbar, egal was es danach gibt." Ihre Stimme klang brüchig. Sie kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen an.
"Ach, Kindchen, ..."
"Nein, Mama, lass mich ausreden." Sie legte Annas Hände in ihre und wandte sich ihr zu. "Als ich dich hier im Garten bewusstlos fand, dachte ich, dass du tot bist. Ich hatte solche Angst. Und seitdem denke ich ständig daran. Ständig denke ich an den Tod und an den Verlust. Wie schlimm es bei Papa war. Und je mehr ich darüber nachdenke, desto tröstlicher fände ich es, wenn es tatsächlich einen Himmel geben würde." Sie schniefte. "Dann könnten Papa
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