Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lavendel und Blütenstaub

Lavendel und Blütenstaub

Titel: Lavendel und Blütenstaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. Habersatter
Vom Netzwerk:
hörte nur das Rauschen des Baches.
     
    Anna wurde wach. Noch immer hörte sie Wasserrauschen, stellte aber fest, dass es die Dusche war. Das Haus war alt und die Leitungen laut. Wenn Warmwasser aufgedreht wurde, konnte es sein, dass es überall quietschte und rauschte.
    Sie sah sich um und blickte auf die Uhr. Es war bereits halb elf am Vormittag. So lange hatte sie schon ewig nicht mehr geschlafen. Langsam richtete sie sich auf und setzte sich auf die Bettkante. Ihr Herz klopfte immer noch rasend schnell und sie fühlte sich ganz fahrig. Der Traum verwirrte sie. Was bedeuteten diese Träume, die sie sonst nie gehabt hatte? Und wer war dieser Junge? Sein Gesicht kam ihr bekannt vor, doch konnte es wirklich sein?
    Das Fenster war gekippt und warme Luft strömte ins Schlafzimmer. Die Vorhänge wehten leicht im Wind. Anna öffnete die Schublade des Nachtkästchens und holte ein kleines abgegriffenes Fotoalbum hervor. Sie schlug es auf und blätterte es durch. Bei einem Foto hielt sie inne. Ein blonder Junge mit einem verschmitzten Lächeln blickte ihr fröhlich entgegen. Anna hatte sich nicht geirrt. Er war es. Der Junge aus dem Traum war Justus. Doch warum träumte sie gerade jetzt von ihm?
    So viele Jahre hatte sie ohne Kummer an ihn denken können. Nun aber war mit einem Schlag die Schuld und das schlechte Gewissen zurückgekehrt. Und die Angst, dass ein weiteres Kind in den Bach fallen und ertrinken könnte.
    Sie küsste das Foto ihres kleinen Bruders, den sie so geliebt hatte, schloss das Album und stand auf. Es brachte nichts Trübsal zu blasen. Das Leben ging weiter. Wie oft hatte sie sich das gesagt, in den Jahrzehnten nach seinem Tod?
    Trotz des beängstigenden Traumes fühlte sich Anna viel besser als letzte Nacht. Sie hoffte, dass diese extreme Schmerzattacke nur einmalig gewesen war und nicht ein Fortschreiten der Krankheit bedeutete. So schnell konnte das doch wohl nicht gehen, dachte sie, während sie sich anzog.
    Auf dem Weg nach unten hörte sie Stimmen. Sie hielt inne und lauschte.
    "Hier habe ich dir ein paar Lebensmittel aufgeschrieben, die holst du vom Supermarkt. Dann fährst du zum Hausarzt und holst ein Rezept. Dr. Schreiber, du weißt, wo seine Praxis ist?"
    Anna konnte ein leises gemaultes "Ja" hören. Sie zweifelte, dass es Erwin war. Stella würde nie so viele Worte auf einmal zu ihrem verhassten Bruder sagen. Und schon gar nicht würde sie ihn um einen Gefallen bitten, wusste Anna. Sie stieß die Tür auf, neugierig darauf, wer wohl da war.
    "Jonathan! Na, das ist ja eine Überraschung", rief sie ehrlich erfreut.
    "Hallo Oma." Jonathan stand mit nassen Haaren in der Küche. Auch wenn er frisch gewaschen aussah, das T-Shirt war es wohl nicht. Es war zerknittert und hatte Flecken. In einer Hand hielt er einen fünfzig Euroschein, in der anderen einen Zettel.
    "Ich bin dann mal weg", sagte Jonathan und drängte sich an Anna vorbei in den Vorraum.
    Traurig bemerkte sie, dass ihr Enkel sie nicht einmal fragte, wie es ihr ging. Früher hatten sie sich gut verstanden, doch seit er arbeitslos war und sie Kritik an ihm und seiner Lebenseinstellung geübt hatte, verhielt er sich zurückhaltend und abweisend.
    Die Eingangstür fiel ins Schloss und Jonathan startete das Auto, dessen Motor kurz stotterte, dann holperte er rückwärts auf die Straße. Einmal würgte er seine Rostkiste noch ab, dann endlich brauste er davon. Er hatte noch nicht lange den Führerschein und das Auto war auch nicht das Neueste.
    "Was wollte er?", fragte Anna.
    Stella seufzte. "Er hatte wohl das Bedürfnis zu beichten." Geräuschvoll atmete sie aus und stellte die leere Kaffeetasse in die Spüle. "Er hatte eine Party veranstaltet, beziehungsweise seine 'ach so tollen' Freunde." Sarkastisch verdrehte sie die Augen. "Das dürfte wohl aus dem Ruder gelaufen sein und mein Haus danach wie ein Schlachtfeld ausgesehen haben."
    "Ich hoffe mal, du hast ihm die Leviten gelesen."
    "Ja. Nein. Ach, ich weiß nicht. Er tat mir so leid. Er saß ganz zerknirscht da." Stella hielt inne und sah auf den Stuhl, auf dem Jonathan zuvor gesessen hatte. "Er wird erst einmal hier bleiben."
    "Soll er oder ich bestraft werden?", fragte Anna ungewohnt lakonisch.
    Überrascht sah Stella auf.
    "Stella, du lässt dem Jungen viel zu viel durchgehen. Erst bricht er die Lehre ab, dann hockt er nur zu Hause herum, und dann führt er sich auch noch auf wie ein kleines Kind, das sich bei seinen Freunden nicht durchsetzen kann. So hört sich das zumindest für

Weitere Kostenlose Bücher