Lavendel und Blütenstaub
drin, der das kann. Wie hieß er doch gleich?" Anna legte eine Hand an ihr Kinn und dachte nach. "Ah, Resveratrol heißt er!"
"Was du dir alles merkst!" Erwin nickte anerkennend. "Wusste ich gar nicht."
"Wenn das so ist, dann musst du fleißig Weintrauben essen, Oma", warf Aurelia unbekümmert ein.
Erwin warf ihr einen tadelnden Seitenblick zu. "Aurelia!", zischte er durch die zusammengebissenen Zähne.
"Was denn?", flüsterte sie ihm unschuldig zu.
Erwin rollte mit den Augen.
Anna ignorierte Erwin und lachte Aurelia an. "Du hast recht!" Krähenfüße bildeten sich an ihren Augenwinkeln. Sie sah richtig fröhlich und gelöst aus. Fast so, als wäre nichts gewesen. Als gäbe es keinen Krebs. "Ein paar Wochen muss ich mich noch gedulden, aber ab September, dann gibt es richtig viele Weintrauben." Wieder blickte sie nach oben. "Dann kann ich alle aufessen."
Erwin sah ebenfalls hinauf. Er dachte an die Zeit zurück, wo die Rebstöcke noch frisch gepflanzt waren. Er hatte seinem Vater dabei geholfen, drei Löcher auszuheben und die Jungpflanzen hineinzusetzen. Jahre später gab es schon eine nette kleine Weinlaube, die im Herbst dicke, dunkle Beeren trug. Gemeinsam mit Stella hatten er und Johann die Trauben gepflückt und genascht. Den Großteil hatte jedoch Anna in der Küche zu Saft weiterverarbeitet, der den ganzen Winter zu den Mahlzeiten getrunken wurde.
"Musst du eigentlich viele Medikamente nehmen?", fragte Aurelia und holte Erwin in die Gegenwart zurück.
"Ach Kindchen, ich glaube, wenn Stella nicht den Überblick hätte, ich hätte ihn schon längst verloren." Sie machte mit der Hand eine wegwerfende Bewegung.
"Also macht sie ihre Sache richtig gut, oder?"
Anna nickte zufrieden.
Erwin sah genervt zu Aurelia. Er hatte keine Lust darauf, Lobliedern auf Stella hören zu müssen.
Aurelia ignorierte ihren Vater. "Und, was macht ihr so den ganzen Tag, du und Stella?"
"Wir gehen im Garten ein wenig spazieren, sitzen im Schatten und reden mal dies, mal das. Meist aber schlafe ich, vor allem, wenn Stella mir wieder starke Schmerzmittel gegeben hat. Davon werde ich müde. Und übel wird mir auch." Sie verzog den Mund. "Die Übelkeit ist das Grausamste. Der Schmerz vergeht mit den richtigen Medikamenten, aber die Übelkeit ist nur schwer in den Griff zu bekommen."
Aurelia und Erwin nickten und schwiegen betroffen. Sie konnten es sich nicht einmal ansatzweise vorstellen, was Anna durchmachen musste. Das konnte wohl nur jemand, der das selbst miterlebt hatte.
"Von wo kommen eigentlich die Schmerzen?"
"Jetzt ist genug, Aurelia! Frag Oma doch nicht so aus!", warf Erwin dazwischen. Er wollte nicht, dass Aurelia so offen über die Krankheit sprach. Es war ihm unangenehm.
"Lass sie doch, Erwin", beschwichtigte Anna. "Warum sollte sie nicht fragen dürfen? Ich hab doch nicht die Pestilenz oder so", erboste sie sich. Dann wandte sie sich Aurelia zu. "Der Arzt meinte, die Schmerzen seien Tumorschmerzen. Genauer weiß ich das aber auch nicht. Ich habe es aufgegeben, mich zu fragen, was da in meinem Körper vor sich geht." Sie machte eine Pause. "Am Schlimmsten jedoch ist das Atmen. Es fühlt sich manchmal alles so eng an. Als hätte ich einen festen Panzer um mich herum, der mir die Luft abdrückt." Sie legte ihre Hand auf ihre Brust.
"Ist das von den Metastasen an der Lunge?", fragte Aurelia leise.
Anna nickte. "Ja", sagte sie. "Dr. Schreiber meinte, das wäre erst der Anfang." Traurig sah sie von Aurelia zu Erwin.
Erwin starrte seine Mutter an. Es tat ihm weh, sie so reden zu hören. Er wollte das alles eigentlich nicht hören, doch Aurelia hatte das Thema aufgegriffen und er war stummer Zeuge einer unausweichlichen Wahrheit.
Das Bild von lungenkranken Patienten schob sich vor sein inneres Auge. Er hatte einmal im Internet nach Berichten über die Folgen von Metastasen an der Lunge gesucht. Es waren ausgemergelte Menschen gewesen, mit Sauerstoffversorgung und halb geschlossenen Augen. Und sie alle hatten eines gemeinsam: Sie waren eines qualvollen Todes gestorben. Erstickt, weil der Körper irgendwann nicht mehr mitmachte. Weil die Lunge irgendwann nicht mehr funktioniert.
Würde seiner Mutter das gleiche Schicksal ereilen? Würde sie ebenfalls ersticken? Hilflos und qualvoll? Konnte er irgendetwas tun, um das zu verhindern? Oder ihr die Qualen erleichtern?
Tränen traten in seine Augen. Verstohlen wischte er sie weg. Zum Glück wechselte Anna das Thema.
"Stella hat erwähnt, dass morgen jemand kommt?" Mit
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