Lavendel und Blütenstaub
Parte. Sie hatte es so gewollt.
Stella sah auf die kleine Karte in ihrer Hand. Betrachtete das freundliche Lächeln ihrer ach so geliebten Mutter und las wieder und wieder den Spruch, der darunter stand.
Der Tod war vier Wochen her, und dennoch schmerzte er sie immer noch sehr. Würde der Schmerz und die Leere in ihrem Herzen jemals nachlassen? Sie hatte zwar gewusst, dass es so kommen würde, doch der Verlust hüllte sie dennoch jede Sekunde des Tages ein.
Sie stand am Friedhof vor dem kleinen Urnengrab. Die Erde war frisch umgegraben und sie hatte ein schönes Gedeck darauf gestellt. Selbst gebunden mit getrocknetem Lavendel, Blumen und ein paar Zweigen des Nussbaumes. Ein bisschen Zuhause auf diesem bedrückenden Friedhof.
Einen Tag nach Annas Tod hatten Stella und Erwin gemeinsam die Lade des Nachtkästchen geöffnet. Der Zeitpunkt war gekommen. Darin waren ein in Leder gebundenes Buch und eine dünne Mappe gewesen.
Das Buch hatte Erwin an sich genommen. Er wollte es sich später in Ruhe ansehen. Stella war einverstanden.
Die Mappe hatten sie gleich geöffnet. Darin war die Patientenverfügung, die Stella vor Wochen mit Anna ausgefüllt hatte. Die letzten Seite waren ihr jedoch unbekannt gewesen.
Anna hatte mit ihrer fast unleserlichen Handschrift selbst ausgefüllt, wie ihr letzter Weg sein sollte, und genau daran hatten sich alle gehalten.
Die Verabschiedung hatte im kleinen Kreise stattgefunden. Stella und Erwin hatten ein paar Worte verlesen und gemeinsam mit der Familie und einigen Freunden Abschied von einer wundervollen Frau genommen, die eine große Leere hinterlassen hatte.
Das Schlimmste war für Stella gewesen, als sich die Türen vor dem Sarg geschlossen hatten. Es war so endgültig. Sie war in Tränen ausgebrochen und hatte sich an Erwin geklammert, der sie fest in seinen Armen gehalten hatte.
Nach der Verabschiedung hatte er sie angesehen und gesagt: "Ich dachte, wir könnten wieder eine Familie sein. Mutter, du und ich. Jetzt bleiben nur noch wir beide." Dann hatte er sie umarmt und sie ließ es geschehen. Er war schließlich ihr Bruder.
Nachdenklich sah Stella auf das Gesteck. Der Wind blies Blätter entlang des Weges und ließ sie frösteln. Sie zog den Kragen der Jacke hoch und rieb sich die Hände.
Sie musste daran denken, dass ihr Erwin vor zwei Wochen das Buch vorbeigebracht hatte, dass im Nachtkästchen gelegen hatte. Er hatte ihr von den Wünschen erzählt, die darin standen. Und dann hatte er ihr gezeigt, was Anna dazugeschrieben hatte.
Beide weinten sie, als sie Annas letzte Wünsche gelesen hatten.
- Ich wünsche mir, dass meine Kinder Erwin und Stella sich vertragen, sich lieben und respektieren.
- Ich wünsche mir, dass Aurelia mit ihrem Christopher ein schönes Haus findet, um mit den Kindern glücklich zu werden.
- Ich wünsche mir, dass mich Gabriela als Schwiegermutter akzeptiert und mag.
- Ich wünsche mir, dass Stella den Mann bekommt, den sie verdient. Ich werde im Himmel ein gutes Wort für sie einlegen.
- Ich wünsche mir, dass Jonathan auf den rechten Weg kommt und Erfüllung in seinem Leben findet.
Zwei Häkchen hatte Erwin bereits gemacht gehabt, das dritte folgte nach der Testamentsvollstreckung. Aurelia hatte das Haus ihrer Großmutter vererbt bekommen. Niemand hatte von diesem Testament gewusst. Stella und Erwin vergönnten es ihr jedoch und freuten sich mit ihr und ihrer Familie.
So blieb noch ein Wunsch offen, doch Stella glaubte nicht so recht daran. Ihre Mutter war tot und sie wieder alleine.
"Hallo Stella."
Sie drehte sich um. Der Wind blies ihr die Haare ins Gesicht. Sie hob die Hand und strich die Strähnen aus den Augen. Hinter ihr stand Dr. Werneck.
"Dr. Werneck! Was machen Sie denn hier?" Sie war erstaunt und vergaß für einen kurzen Moment die Höflichkeit.
Er lächelte und deutete eine Reihe weiter. "Ich war am Grab meiner Mutter." Er sah auf Annas frisches Grab. "So wie Sie", fügte er hinzu. "Wie geht es Ihnen?"
"Mal besser, mal schlechter. Meist aber schlechter." Sie zuckte mit den Schultern und steckte die kalten Hände in ihre Jackentasche. Mühsam unterdrückte sie die Tränen, die sich einen Weg an die Oberfläche suchten, wie so oft, wenn sie gefragt wurde, wie es ihr ging. Wie sollte es jemanden gehen, der seine Mutter verloren hatte?
"Und Jonathan? Alles in Ordnung mit ihm?" Er konnte sich noch gut an den rebellischen Jungen erinnern.
Stella lachte, froh um den Themenwechsel. "Ach der, dem geht es blendend. Er hat
Weitere Kostenlose Bücher