Lavinia & Tobais 01 - Liebe wider Willen
sagen.«
Tobias zog fragend eine Augenbraue hoch.
»Als Fielding Dove gestorben ist«, erklärte Crackenburne mit Entschiedenheit, »hat Joan Dove seine ausgedehnten geschäftlichen Unternehmungen geerbt. Sie ist jetzt eine äußerst reiche Frau.«
»Mit dem Reichtum kommt die Macht.«
»Ja«, stimmte ihm Crackenburne zu. »Und je reicher und mächtiger einer ist, desto mehr ist er bedacht, alles zu tun, um seine Geheimnisse verborgen zu halten.«
Es regnete noch immer heftig, als die elegante Kutsche in der Claremont Lane vor dem Haus Nummer sieben anhielt. Lavinia warf einen verstohlenen Blick durch die Gardine und entdeckte einen muskulösen Lakai in einer gut aussehenden Livree, der die Tür der Kutsche öffnete und einen Schirm bereithielt.
Ein dichter Schleier verdeckte das Gesicht der Frau, der er aus der Kutsche half, doch Lavinia kannte nur eine Frau, die sich eine so teure Kutsche leisten konnte und die sie bei so schrecklichem Wetter besuchen kommen würde.
Joan Dove trug ein Paket unter dem Arm, das in Stoff eingeschlagen war. Schnell kam sie die Treppe zur Haustür hinauf. Trotz des aufmerksamen Lakaien und seinem Schirm waren Joans Halbstiefel aus Wildleder und der untere Teil ihres eleganten dunkelgrauen Umhangs feucht, als sie ein paar Minuten später in das gemütliche Wohnzimmer geführt wurde. Lavinia beeilte sich, ihr einen Sessel am Kamin anzubieten, und setzte sich dann ihrem Gast gegenüber.
»Tee bitte, Mrs. Chilton.« Sie gab ihren Befehl knapp und versuchte, ihn so klingen zu lassen, als wäre es eine alltägliche Sache, dass sie so vornehme Besucher hier in der Claremont Lane empfing. »Von dem neuen frischen Oolong.«
»Jawohl, Ma'am, sofort, Ma'am.« Mrs. Chilton, die voller
Hochachtung den Besuch betrachtete, fiel beinahe über ihre eigenen Füße, als sie versuchte, einen Knicks zu machen und dabei das Zimmer zu verlassen.
Lavinia wandte sich wieder zu Joan und suchte nach einem passenden Kommentar. »Der Regen wird wohl noch eine Weile anhalten.« Sie errötete sofort über diese nichts sagende Bemerkung. Das war nicht gerade die Art, wie man einen potenziellen Klienten beeindruckte, dachte sie.
»In der Tat.« Joan streckte eine Hand in schwarzem Handschuh aus, um ihren Schleier zu lüften.
Jeder weitere Kommentar über das schlechte Wetter blieb Lavinia im Hals stecken, als sie Joans blasses Gesicht und die weit aufgerissenen Augen sah. Alarmiert stand sie schnell auf und griff nach der kleinen Glocke auf dem Kaminsims.
»Ist alles in Ordnung, Madam? Soll ich eine Riechflasche bringen lassen?«
»Eine Riechflasche wird mir nicht helfen.« Joans Stimme war erstaunlich ruhig, wenn man die Verzweiflung in ihrem Blick bedachte. »Ich hoffe, dass Sie mir helfen können, Mrs. Lake.«
»Was ist denn?« Langsam sank Lavinia zurück in ihren Stuhl. »Was ist geschehen, seit wir zum letzten Mal miteinander gesprochen haben?«
»Dies hier ist vor einer Stunde an meiner Haustür abgeliefert worden.« Joan wickelte das quadratische Paket aus, das sie mitgebracht hatte.
Der Stoff fiel zu Boden und enthüllte eine kleine Szene, aus Wachs gefertigt, in einer hölzernen Kiste, die ungefähr dreißig Zentimeter im Quadrat groß war. Ohne ein Wort stand Lavinia noch einmal auf und nahm das Bild aus Joans Hand. Sie trug die kleine Wachsarbeit zum Fenster, wo das Licht besser war, und betrachtete die kunstvoll gefertigte und sehr detaillierte Szene.
Der Mittelpunkt des Bildes war eine kleine, aber sehr genau ausgearbeitete Skulptur einer Frau in einem eleganten grünen Kleid. Sie lag zusammengesunken auf dem Boden eines Raumes, ihr Gesicht war von dem Betrachter abgewandt. Das hohe Mieder des Kleides war im Rücken tief ausgeschnitten. Der Saum war mit drei Reihen von Rüschen besetzt, auf die kleine Rosen geheftet waren.
Doch es war die Farbe des echten Haares auf dem Kopf der Skulptur, die Lavinias Aufmerksamkeit erregte. Es war blond, durchsetzt mit Silber. Genau wie die Haare von Joan, dachte sie.
Sie blickte von dem Bild auf. »Das ist die ungewöhnlichste und kunstvollste Wachsarbeit, die ich je gesehen habe, aber ich verstehe nicht, warum Sie sie mir gebracht haben.«
»Sehen Sie sich die Frau genauer an.« Joan presste in ihrem Schoß fest die Hände zusammen. »Sehen Sie die rote Farbe auf dem Boden unter ihr?«
Lavinia betrachtete die Arbeit noch einmal. »Sie scheint auf einem roten Tuch zu liegen oder vielleicht auf einem Stück roter Seide.« Sie hielt inne, als sie
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