Lavinia & Tobais 01 - Liebe wider Willen
Lavinias rücksichtsloses, feuriges Temperament besaß, überlegte Tobias, dann würde der Musselin wahrscheinlich in kürzester Zeit zerfetzt sein. Aus irgendeinem Grund belustigte ihn dieses Bild, trotz seiner schlechten Laune. Dann kam ihm der Gedanke, dass Lavinia, wenn sie mit der Geliebten fertig war, zweifellos über ihren Mann herfallen würde, der wahrscheinlich das Schlimmste von allem abbekam. Er hörte auf zu lächeln. »Ah, da sind Sie ja, March.« Lord Crackenburne senkte seine Zeitung und sah Tobias über den Rand seiner Brille hinweg an. »Ich dachte mir schon, dass ich Sie heute hier sehen würde.«
»Guten Tag, Sir.« Tobias setzte sich in den Sessel auf der anderen Seite des Kamins. Abwesend begann er, sein rechtes Bein zu reiben. »Sie sind sehr weise, sich hier einen Platz am Feuer zu suchen. Das ist kein Nachmittag, der zu einem Spaziergang einlädt. Der Regen hat die Straßen in Lehm verwandelt.«
»Ich habe mich schon seit dreißig Jahren nicht mehr dem Stress ausgesetzt, in der Stadt herumzulaufen.« Crackenburne zog seine grauen Augenbrauen hoch. »Ich ziehe es vor, die Welt zu mir kommen zu lassen.«
»Ja, das weiß ich.«
Crackenburne hatte hier in diesem Club mehr oder weniger gelebt, seit seine geliebte Frau vor beinahe zehn Jahren gestorben war. Tobias besuchte ihn oft.
Ihre Freundschaft reichte schon beinahe zwanzig Jahre zurück, bis zu dem Tag, als Tobias frisch aus Oxford und ziemlich mittellos in London angekommen war und sich darum beworben hatte, Crackenburnes Sekretär zu werden. Bis heute wusste er nicht, warum ein Graf, ein Mann von untadeliger Herkunft, von ausgedehnten Vermögensverhältnissen und persönlichen Verbindungen zu einigen der hochrangigsten Mitgliedern der Gesellschaft, damit einverstanden gewesen war, einen unerfahrenen jungen Mann ohne Referenzen und ohne Familie einzustellen. Aber Tobias wusste, dass er Crackenburne für sein Vertrauen ewig dankbar sein würde.
Er hatte vor fünf Jahren damit aufgehört, Crackenburnes finanzielle und geschäftliche Angelegenheiten zu erledigen und war dann in das Geschäft mit den privaten Nachforschungen eingestiegen, doch er schätzte den Rat des alten Mannes. Außerdem machte Crackenburnes Vorliebe dafür, die meiste Zeit hier in seinem Club zu verbringen, ihn zu einer nützlichen Quelle für Gerüchte und Klatsch. Er schien immer die neuesten Neuigkeiten zu wissen.
Crackenburne raschelte mit seiner Zeitung und blätterte eine Seite um. »Also, was habe ich da gehört von dem Mord an einem gewissen Spieler gestern Abend?«
»Ich bin beeindruckt.« Tobias lächelte ironisch. »Woher haben Sie denn diese Neuigkeit erfahren? Steht sie in den Zeitungen?«
»Nein. Ich habe eine Unterhaltung bei einem Kartenspiel heute Morgen mitgehört. Ich habe mich an Holton Felix' Namen erinnert, natürlich, denn Sie hatten mich doch erst vor zwei Tagen nach diesem Mann gefragt. Er ist also tot?«
»Ganz sicher. Jemand hat ihm mit einem schweren Gegenstand den Schädel eingeschlagen.«
»Hmmm.« Crackenburne widmete sich wieder seiner Zeitung. »Und was ist mit dem Tagebuch, das Sie für Neville finden sollen?«
Tobias streckte die Beine ans Feuer. »Als ich am Tatort eintraf, war das Tagebuch bereits verschwunden.«
»Ich verstehe. Wie unglücklich. Neville war ganz sicher nicht erfreut, als er das erfahren hat.«
»Nein.«
»Haben Sie schon eine Ahnung, wo Sie als Nächstes suchen werden?«
»Noch nicht, aber ich habe meine Informanten wissen lassen, dass ich noch immer an jeder Spur interessiert bin, die mich zu diesem verdammten Tagebuch führen könnte.« Tobias zögerte. »Es hat allerdings eine neue Entwicklung gegeben.«
»Und was ist das für eine Entwicklung?«
»Ich war gezwungen, in dieser Angelegenheit eine Partnerschaft einzugehen. Mein neuer Partner hat bereits einen Hinweis gefunden, der sich als nützlich herausstellen könnte.«
Crackenburne blickte schnell auf, seine alten Augen blitzten erstaunt. »Einen Partner? Meinen Sie etwa Anthony?«
»Nein. Anthony ist ab und zu mein Assistent, und so soll es auch bleiben. Ich habe ihm erklärt, dass ich nicht möchte, dass er zu sehr in meine Geschäfte hineingezogen wird.«
Crackenburne war wirklich belustigt. »Auch wenn ihm die Arbeit gefällt?«
»Darum geht es gar nicht.« Tobias verschränkte die Finger miteinander und betrachtete das Feuer. »Das ist keine Arbeit für einen Gentleman. Man läuft immer Gefahr, ein Spion zu werden, und das Einkommen ist,
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