Lavinia & Tobais 03 - Skandal um Mitternacht
ins Haus bestellt hatte.
Als Mr Pierce mit seiner Ledertasche voller Kämme, Brennscheren, Papilloten, Scheren und falschen Haarteilen erschienen war, hatte Priscilla sich sehr selbstsicher und der Lage gewachsen gezeigt. Sie hatte sich vor den Spiegel des Frisiertisches gesetzt, um die Schultern ein makellos weißes Tuch, und sich den Händen des mörderischen Friseurs ausgeliefert, als sei es die normalste Sache der Welt.
Tatsächlich benahm sie sich so natürlich und mit so viel Begeisterung, dass Emeline sich schon fragte, ob sie die Situation nicht genoss. Vielleicht machte die Tatsache, dass Mr Pierce recht gut aussah — sogar umwerfend mit dem schwarzen Band um den Hals und den zwanglos fallenden Locken —, ihr die Rolle leichter.
Emeline musste zugeben, dass man sich Pierce als gedungenen Mörder schwer vorstellen konnte.
Mrs Wortham saß in einem Sessel auf der anderen Seite des Frisiertisches, guter Dinge und ahnungslos, dass der Mann, der nahe der Kehle ihrer Tochter mit einer großen Schere hantierte, in den letzten Monaten vermutlich drei Menschen getötet hatte.
»Meinen Sie nicht, man sollte erwägen, Priscillas Haar ein wenig dunkler zu färben, Mr Pierce?«, fragte Lady Wortham besorgt.
»Dieses Haar färben? Vergessen Sie es.« Pierce fasste nach Priscillas Mähne und hob sie mit einem Schwung, der eines Zauberkünstlers würdig gewesen wäre. »Das ist pures gesponnenes Gold. Es wäre ein Verbrechen gegen die Natur, wenn man es mit Holunder oder Griechischem Wasser färben würde.« Er klopfte mit dem Kamm an den Rand des Frisiertisches und musterte Priscilla im Spiegel. »Und ich verbiete Ihnen, an die Verwendung von Henna auch nur zu denken. Ist das klar?«
»Ja, Mr Pierce«, flötete sie gehorsam
Lady Wortham fächelte sich aufgeregt Kühlung zu. »Aber wenn ihr Haar nicht gefärbt werden soll, was schlagen Sie dann vor? Eine Perücke etwa?«
»Das kommt in ihrem zarten Alter nicht in Frage. Außerdem wäre es ein Jammer, falsches Har mit einer so klaren frischen Haut und einem klassischen Profil zu kombinieren.« Mr Pierce bedachte Lady Wortham mit einer tiefen Verbeugung. »Wie ich sehe, hat sie beides von Ihnen geerbt, Madam.«
Lady Wortham starrte ihn sekundenlang mit offenem Mund an. Emeline beobachtete erstaunt, dass ihr dunkle Röte in die Wangen stieg. »Danke, Mr Pierce.« Sie fächelte noch energischer. »Ich kann sagen, dass ich in meiner Jugend auf Bällen nie Mangel an Tanzpartnern hatte. Priscilla gerät mir nach.« Sie räusperte sich. »Bis auf ihr Haar natürlich. Das ist leider ein Erbteil ihres Papas.«
»Nun ja, ich wollte nur sagen, dass ich bemüht bin, bei meinen jungen Kundinnen ohne Perücke auszukommen, wenn es eine Alternative gibt.« Mr Pierce ließ eine bedeutungsschwere Pause eintreten. »Und in diesem Fall gibt es eine. Eine prachtvolle überdies.«
Nun trat atemloses Schweigen ein. Emeline war bewusst, dass sie trotz der fast unerträglichen Spannung, unter der sie und Priscilla standen, ebenso neugierig war zu erfahren, was Mr Pierce zu bieten hatte, wie Lady Wortham.
»Ja, Mr Pierce?«, drängte Lady Wortham. »Was ist die Alternative?«
Pierre kniff die Augen zusammen, als spähe er einen Pistolenlauf entlang. »Da wir es Ihrer Tochter nicht ermöglichen können, der Mode zu folgen, bleibt uns keine andere Wahl, als sie in ein Vorbild an Eleganz zu verwandeln, das selbst eine Mode kreiert.«
»Ach du meine Güte.« Lady Wortham schien einer Ohnmacht nahe. »Ach Gott. Ein Vorbild an Eleganz.«
» Überlassen Sie es mir, Madam. Ich erlernte meine Kunst in Paris. Ich weiß, was ich tue.« Mr Pierce griff in seine Tasche und holte Haarnadeln und Papilloten heraus. »Aber ehe ich fortfahre, müssen Sie mir Ihr Wort geben, dass Sie meine Kreation nie zusammen mit Rosa präsentieren.«
Lady Wortham, die mit offenem Mund und aufgerissenen Augen wie erstarrt dasaß, war sprachlos.
Pierce griff zu seiner Schere und fixierte sie mit ernstem Blick. »Miss Priscilla hat doch bestimmt auch andere Farben in ihrer Garderobe? Sie wird nicht immer in diesem lächerlichen Rosa herumlaufen, oder?«
Priscilla gab einen leisen erstickten Laut von sich und fasste nach der Teetasse auf dem Frisiertisch. Emeline begegnete ihrem Blick im Spiegel. Keine der beiden wagte ein Wort.
Lady Wortham räusperte sich. »Ich dachte, Rosa sei für ihr Alter und Aussehen sehr günstig.«
Pierce machte sich seufzend mit der Schere ans Werk. »Erlauben Sie, Madam, aber Rosa
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