Lavinia & Tobais 03 - Skandal um Mitternacht
der Keil des Mondscheins. Abgesehen von einer Droschke oder einem Karrren, die hin und wieder zu hören waren, rührte sich nichts. In Piere' Fenster war schon vor einer halben Stunde das Licht ausgegangen. Er schien s ich zur Ruhe begeben zu haben.
»Ist dir aufgefallen, dass an Emeline und Priscilla heute etwas verändert war?« Anthony streckte die Arme hoch, um die Steifheit zu vertreiben.
»Verändert?« Dominic überlegte eine Weile. »Darüber habe ich nicht nachgedacht. Warum fragst du?«
»Ach, ich weiß nicht. Ich hatte nur den Eindruck, dass beide heute besonders gut aussahen.«
»Sie sehen immer gut aus.«
»Wie wahr.«
Wieder trat längeres Schweigen ein.
»Ich glaube, Priscilla findet Gefallen an dir«, fing Anthony nach einer Weile an.
»Noch mehr Gefallen findet sie am Inhalt meines Labors.« Dominic hörte sich verdrossen an.
»Da wäre ich nicht so sicher. Aber ihr beide habt sicher viel gemeinsam.«
»Hmm.«
»Du findest sie hübsch. Gib zu, dass du dich für Emeline nie interessiert hast. Du hast nur mit ihr geflirtet, um mich zu ärgern.«
Dominic reagierte mit einem Achselzucken, das in der Dunkelheit kaum wahrzunehmen war. »Du bist in Emeline verliebt?«
»Ja. Ihre Tante möchte, dass wir mit der Verlobung noch warten, aber Emeline und ich haben andere Pläne. Als Erstes muss ich Tobias überzeugen, dass er Mrs Lake heiraten und in ihr Haus ziehen soll.«
»Damit du und Miss Emeline sein Haus übernehmen könnt?« Dominics Neugierde erwachte. »Sehr klug. Glaubst du, dass er einverstanden sein wird?«
»Ich habe Schwierigkeiten, ihn von der Klugheit meines Plans zu überzeugen, doch darf ich auf Erfolg hoffen.« In einiger Entfernung flackerte etwas auf. »Hast du das gesehen?«
»Was?«
»Ich glaube, am Ende der Gasse, die zur Rückseite von Piere' Wohnung führt, steht jemand.«
Die Gestalt bewegte sich und glitt vorsichtig aus der Finsternis in den vom Mond beschienenen Teil.
Dominic richtete sich auf. »Ja, ich sehe ihn. Vielmehr sie. Es ist eine Frau in einem Umhang.«
»Ich wette, dass es Pierce in Frauenkleidern ist«, flüsterte Anthony.
»Du hast sicher Recht.« Dominic antwortete ebenso leise. »Rühr dich nicht. Er darf uns nicht sehen.«
Die in den Umhang gehüllte Gestalt wirkte, als ob sie über die Straße schwebte. Pierce, der keine Laterne bei sich hatte, orientierte sich offensichtlich am hellen Mondschein. Seine Bewegungen waren von geisterhafter Lautlosigkeit.
»Wie ein Gespenst in der Nacht«, flüsterte Dominic.
Die alte Vettel nahm einen tiefen Schluck Gin und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, während sie Tobias über den rohen Tisch anschielte und angeheitert gackerte.
»Seinerzeit nannte man mich Mutter Maud«, krächzte sie. »Ich lebte gut davon, dass ich Babys und kleine Kinder verkaufte. Sie würden sich wundern, was für einen Markt es für gesunde kleine Jungen und Mädchen gibt. Alle möglichen Leute, hoch und niedrig, kamen und kauften meine Ware.«
Die Frau ließ ihn bis ins Innerste erschauern, doch ließ Tobias sich seinen Ekel nicht anmerken. Die Spelunke, die sich in einen Winkel eines der übelsten Viertel der Stadt duckte, war dunkel, verräuchert und höhlenartig. Das Gryphon hätte sich dagegen wie ein exklusiver Herrenklub ausgenommen.
Mutter Maud verstummte und wartete gespannt.
Er legte ein paar zusätzliche Münzen auf den Tisch. Daneben tat er den Mementomori-Ring, den er auf Beaumont Castle in Fullertons Schlafzimmer gefunden hatte. Der kleine goldene Sarg glitzerte bösartig im Kerzenlicht.
»Smiling Jack sagte, es gäbe Gerüchte, dass du Vorjahren zwei Jungen an einen Mann verkauft hast, der einen ähnlichen Ring trug.« Er öffnete den Sarg.
Mutter Maud starrte den winzigen Totenkopf lange an. Dann galt ihre Aufmerksamkeit wieder dem kleinen Münzstapel. Ihr Unbehagen war ihr deutlich anzusehen.
Er fugte dem Stapel eine Münze hinzu.
»Ja.« Mutter Maud trank Gin, als müsste sie ihre Nerven beruhigen. »Ich machte Geschäfte mit einem Mann, der einen Totenkopfring trug.«
»Erzähl mir von den Geschäften.«
»Er war anders als meine üblichen Kunden«, grummelte Maud schließlich.
»Inwiefern?«
»Die meisten, die Kinder kauften, ließen sie arbeiten. Die Jungen als Taschendiebe, Bettler oder Einbrecher, die durch Kamine kletterten. Die Mädchen gingen ins Bordell oder zum Verdienen auf die Straße.« Sie zuckte mit einer ihrer knochigen Schultern. »Es gab auch welche, die kauften die
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