Lavinia & Tobais 03 - Skandal um Mitternacht
nein. Er hat ein Messer.«
»Nicht mehr lange«, knurrte Tobias. Er ging weiter und verringerte rasch die Distanz zwischen sich und dem jungen Mann.
Lavinia sah, dass der begann, rückwärts zu weichen. Was immer er in Tobias' Miene las, hatte Panik in ihm ausgelöst. Er saß in der Falle, und er wusste es.
Eisige Angst durchfuhr sie. Wer in die Enge getrieben wurde, konnte doppelt gefährlich werden.
Tobias schien das Messer in der Hand des Mannes nicht zu bemerken, als er mit den ausgreifenden, anpirschenden Schritten eines jagenden Wolfes auf ihn zuhielt.
Der Mann verlor die Nerven. Indem er die Klinge ausstreckte wie einen Talisman, mit dem es galt, einen Dämon abzuwehren, begann er wie irre vorwärts zu laufen und hieb mit dem Messer wild durch die Luft. Es war klar, dass er an Tobias vorüber auf die Straße und damit die Freiheit gewinnen wollte.
Tobias wich der Klinge aus und packte den Messerarm, als der Schurke fast an ihm vorbei war. Den Schwung des Mannes nutzend, ließ er ihn in einem Bogen hochschnellen, der abrupt an der nächsten Steinmauer endete.
Der Angreifer schrie vor Wut und Schmerz auf, ehe er auf das Pflaster krachte. Das Messer fiel klirrend auf die Steine.
Tobias bückte sich nach der Klinge. »Sweet Ned, nehme ich an.«
Der junge Mann schauderte wie unter einem Schlag zusammen.
Lavinia lief zu den beiden. »Woher kennst du seinen Namen?«
»Das erkläre ich dir später.« Tobias konzentrierte seine Aufmerksamkeit völlig auf Sweet Ned. »Sieh mich an, Ned. Ich möchte dein Gesicht sehen.«
Lavinia erstarrte, als sie die tödliche Schärfe in Tobias'leise geäußertem Befehl vernahm. Seiner Stimmung unsicher, warf sie ihm einen raschen, forschenden Blick zu. Unter seiner Hutkrempe waren seine Züge hart und unbarmherzig wie die Gesichter der steinernen Engel auf dem Friedhof.
Sweet Ned erbebte abermals, und Lavinia wusste, dass auch er drohendes Unheil aus Tobias Ton herausgehört hatte. Doch wie unter dem Einfluss eines starken Hypnotiseurs drehte er sich langsam auf den Rücken und starrte Tobias an.
Nun konnte Lavinia zum ersten Mal sein Gesicht aus der Nähe sehen.
»Wie jung er ist«, flüsterte sie. »Er ist ja nicht einmal so alt wie Anthony oder Dominic. Höchstens siebzehn oder achtzehn.«
»Und in Anbetracht seiner Berufswahl dürfte er vermutlich hängen, ehe er ein Jahr älter wird.« Außer Neds Reichweite stehend, beobachtete Tobias sein Opfer ohne Anzeichen von Mitgefühl. »Was wolltest du hier, Ned?«
Ned zuckte bei dieser Frage wie unter einem Schlag zusammen.
»Ich wollte der Dame nichts antun«, stieß er hervor. »Das schwöre ich beim Grab meiner Mutter. Ich wollte ihr nur Angst einjagen, das ist alles.«
»Angst wovor?«, fragte Tobias, der seine Stimme noch mehr senkte.
Jetzt war Ned sichtlich entsetzt. »Ich ... ich wollte ihr nur sagen, dass sie mit ihrer Fragerei aufhören soll. Das ist alles.« »Fragerei?« Diese Information erschütterte Lavinia. Bis zu diesem Moment hatte sie angenommen, Ned wäre ein gewöhnlicher Straßenräuber, der sie als Frau ohne Begleitung und daher als leichtes Opfer erkannt hatte.
Tobias aber schien die Antwort nicht zu erstaunen.
»Welche Fragen hätte die Dame nicht stellen sollen?«, fragte er Ned weiter.
»Das weiß ich nicht. Ich übernahm nur einen Auftrag. Die Dame bezahlte mich, die Hälfte im Voraus, den Rest nachher.«
»Dame?« Lavinia kam vorsichtig näher.
»Beschreibe die Frau, die dich anheuerte«, befahl Tobias ruhig. »Wenn dir dein Leben lieb ist, wirst du mir jede Einzelheit, an die du dich erinnern kannst, beschreiben.«
»Ich ... ich kann nicht klar denken ...« Neds Gesicht verzerrte sich. Ihm war deutlich anzusehen, dass er zwar krampfhaft überlegte, doch lähmte ihm seine Angst vor Tobias die Zunge.
Auf diese Weise ist aus ihm nichts herauszukriegen, dachte Lavinia. Sie griff nach dem Medaillon, das sie am Hals trug, und löste es.
»Ich schlage vor, du gestattest, dass ich ihn befrage«, sagte sie leise zu Tobias.
Tobias warf einen Blick auf das Medaillon, zögerte und zuckte dann kurz die Schultern. »Na schön. Ich möchte alles über die Person erfahren, die ihn bezahlte, um dir Angst einzujagen.«
»Sweet Ned, sieh mich an«, sagte sie sanft.
Ned aber schien nicht imstande, den Blick von Tobias abzuwenden. Was immer er in den Augen des Mannes sah, nagelte ihn fest.
»Tobias, wende den Blick von ihm ab«, flüsterte Lavinia. »Du fixierst ihn. Du musst ihn loslassen, ehe
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