Lavinia & Tobais 03 - Skandal um Mitternacht
die sie in dieser Hinsicht übertrafen, obwohl es ihnen in seinen Augen an jener Eleganz und jener Selbstsicherheit fehlte, die sich erst mit reiferen Jahren einstellten.
Nein, es ist die unsichtbare Macht ihrer Persönlichkeit, die mich so unwiderstehlich anzieht, dachte er. In ihr war eine Stärke, die alles in ihm ansprach.
Die Intensität seines Verlangens setzte ihn selbst in Erstaunen. Er konnte sich nicht erinnern, wann er sich in diese Frau verliebt hatte. Er wusste jetzt nur, dass das Gefühl ihn geradezu verzehrte. Ja, es war so mächtig geworden, dass es seine Leidenschaft für seine zweite große Liebe, die römischen Relikte in England, übertraf.
Während ihr Mann noch am Leben war, hatte er sich nie erlaubt, in intimen Zusammenhängen an Joan zu denken. Fielding Dove war einer seiner engsten Freunde gewesen. Er hatte diese Freundschaft gepflegt und zu sehr geschätzt, um sich zu erlauben, Doves schöne Frau zu begehren. Nicht, dass es mir etwas genützt hätte, dachte er spöttisch. Joan hätte nie einen anderen Mann angeschaut, solange ihr geliebter Fielding noch unter den Lebenden weilte.
Aber Fielding war jetzt über ein Jahr tot und Joan war endlich aus dem Kokon der Trauer ausgeschlüpft. Er hatte einen sehr vorsichtig en und sehr zielstrebigen Verfü hrungsfeldzug begonnen und sie mit seiner Antikensammlung und mit Gesprächen über ihre vielen gemeinsamen Interessen umworben. Die Leidenschaft war schnell zwischen ihnen entflammt, aber irgendwann im Laufe der Zeit hatte er entdeckt, dass er mehr von ihr wollte.
Er wollte, dass sie ihn so sehr liebte wie er sie.
Eine Zeit lang hatte er Hoffnung geschöpft, seine Gefühle würden erwidert. In den letzten Tagen freilich schien Joan sich von ihm zurückgezogen zu haben. Er spürte, dass er Gefahr lief, sie zu verlieren, und dieses Wissen erfüllte ihn mit stiller Verzweiflung, doch er hatte keine Ahnung, was schiefgegangen war.
»Hat Mr March gebeten, dich wegen des Mementomori- Ring-Mörders konsultieren zu dürfen?«, fragte Joan, ohne ihre Betrachtung einer Onyx-Kamee zu unterbrechen. »Ich weiß, dass er und Mrs Lake in größter Sorge wegen ihres neuen Falles sind.«
»March sprach davon, doch konnte ich ihm nicht viel helfen. Er und Crackenburne versuchen in Erfahrung zu bringen, wer von den Auftragsmorden profitiert haben könnte.«
»Sie suchen jemanden, der von den Morden finanziellen Vorteil hatte. Aber Mrs Lake und ich finden es auffallend, dass diese letzten Todesfälle für einige junge Damen der Gesellschaft eine Änderung ihrer Heiratspläne mit sich brachten.«
»Du glaubst, dass eine Verbindung besteht? Ein bisschen weit hergeholt.«
»Da wäre ich nicht so sicher.« Joan riss sich von der Schmuckvitrine los und schlenderte zu einem mit Tonwaren gefüllten Schaukasten. »Auf den ersten Blick mag es schwer vorstellbar erscheinen, dass jemand einen Mord bestellt, nur um eine Heirat zu verhindern oder eine andere zu fördern.«
»Du musst zugeben, dass es außergewöhnlich klingt.«
Sie strich mit der behandschuhten Fingerspitze über die kunstvoll behauene Kante eines steinernen Altars. »Nicht wenn man in Betracht zieht, wie viel bei einer Heirat auf dem Spiel steht, besonders bei Eheschließungen in vornehmen Kreisen.«
Vale dachte an die großen Vermögenswerte, die in Form von Eheverträgen von einer Hand zur anderen wanderten, ganz zu schweigen von Grundbesitz oder Titeln.
»Du könntest Recht haben«, gab er zu. »Wahrscheinlich ist es doch nicht völlig ausgeschlossen, dass jemand tötet, um zu verhindern, dass ein besonders lukrativer Ehevertrag in Kraft tritt. Wie March des Öfteren hervorhob, ist Geld immer ein vortreffliches Motiv für einen Mord, doch nehme ich an, dass diese Todesfälle die Vermögensverhältnisse der größten Nutznießer nicht entscheidend änderten.«
»Bei einer Ehe stehen noch andere Dinge auf dem Spiel.« Joan drehte sich um und blickte ihn über die Länge der Galerie hinweg an. »In Anbetracht des enormen Risikos, das eine Frau bei einer Heirat eingeht, ist es eigentlich bemerkenswert, dass die Anzahl der Morde, die mit dem Ziel begangen werden, die Zukunft einer jungen Dame in andere Bahnen zu lenken, nicht um vieles größer ist.«
Er fürchte die Stirn. »Wie bitte?«
Joan ging weiter, um den Teil einer Säule zu studieren, den er bei der Ausgrabung eines römischen Tempels unweit von Bath gefunden hatte.
»Für eine Frau birgt eine Heirat sehr viele Risiken«, sagte sie
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