Lavinia & Tobais 03 - Skandal um Mitternacht
ich etwas mit ihm anfangen kann.«
»Ich beobachte ihn.« Tobias ließ Ned nicht aus den Augen. »Ich möchte keine Überraschungen erleben.«
»Du hast ihn in eine Art Trance versetzt«, murmelte sie. »Du musst sie brechen. Er kann es nicht. Wende sekundenlang den Blick ab. Das müsste reichen.«
»Wovon redest du da? Er ist nicht in Trance. Er hat Angst, das ist alles.« Tobias lächelte Ned kalt zu. »Und das mit gutem Grund.«
Ned rührte sich nicht. Er zuckte mit keiner Wimper, während er auf dem Boden liegend Tobias anstarrte.
»Tobias, bitte«, sagte Lavinia schon ein wenig verzweifelt.
»Na gut.« Tobias riss die Augen von Ned los und sah stattdessen sie an. »Aber wenn es nicht klappt, übernehme ich die Sache. Hast du verstanden?«
Sie betrachtete ihn kurz und merkte, was Ned gesehen haben musste. Ihr stockte der Atem. Tobias Augen waren abgrundtiefe Meere brodelnden silbergrauen Nebels. Um sie herum begann die Welt sieb aufzulösen. Sie glaubte das Gleichgewicht zu verlieren und kopfüber in einen bodenlosen, dunklen Strudel zu fallen.
»Lavinia.« Tobias' Stimme klang wie ein Donnerschlag. »Was hast du? Du siehst aus, als wärest du einer Ohnmacht nahe.«
Mit einem Ruck entkam sie der Trance und fand mit großer Mühe ihr Gleichgewicht wieder. »Unsinn.« Sie atmete tief durch. »Nimm zur Kenntnis, dass ich in meinem ganzen Leben noch nie in Ohnmacht fiel.«
Hastig wandte sie sich wieder Ned zu, der sich auf die Ellbogen aufstützte und den Kopf schüttelte, als müsse er ihn klären. Wenigstens war er jetzt nicht mehr hilflos durch Tobias' Blick fixiert.
Sie nahm ihren ganzen Verstand zusammen und fasste sich. »Ned. Sieh mein Medaillon an.« Sie hielt es so, dass es die Sonne einfing. »Sieh, wie es glänzt.«
Neds Blick fiel auf den baumelnden Anhänger, den sie sacht pendeln ließ.
»Verfolge den Weg des tanzenden Lichts, Ned«, sagte sie in dem festen, drängenden Ton, den sie benutzte, wenn sie jemanden hypnotisieren wollte. »Es wird dein Gemüt und deine Nerven beruhigen. Deine Ängste werden beschwichtigt. Konzentriere dich auf das Licht. Spüre die Schwere in deinen Gliedern. Hör auf meine Stimme. Hör auf mich. Alles andere soll in der Ferne verschwinden, damit es dich nicht ängstigen kann.«
Neds Miene entspannte sich. Tobias und seine Umgebung schien er nicht mehr wahrzunehmen.
»Beschreibe die Frau, die dich bezahlte, damit du mir heute folgst«, sagte sie, als sie spürte, dass er sich in tiefer Trance befand. »Stell sie dir vor, als stünde sie vor dir. Ist es ausreichend hell, damit du sie siehst?«
»Es ist fast Vollmond, sie hat eine Laterne mitgebracht. Ich kann sehen, dass sie groß ist. Fast so groß wie ich.« Die Worte kamen tonlos und bar jeden Gefühls.
»Wie ist sie gekleidet?«
»Sie trägt ein Hütchen mit Schleier. Ich kann ihre Augen ab und zu blitzen sehen, aber das ist alles.«
»Wie sieht ihr Kleid aus?«
Die Frage schien Ned zu verblüffen. »Ein gewöhnliches, dunkles Kleid.«
Hartnäckig versuchte sie es wieder. »Sieht es aus wie ein Kleid, das eine elegante Dame trägt? Ist es aus feinem Stoff?«
»Nein.« Diesmal klang er ganz sicher. »Es ist einfach. Braun oder grau, denke ich. Es sieht aus wie das Kleid, das meine Freundin Jenny bei der Arbeit in der Kneipe trägt.«
»Trägt sie Schmuck?«
»Nein.«
»Und ihre Schuhe? Kannst du sie sehen?«
»Ja. Sie hat die Laterne zu ihren Füßen abgestellt. Am Boden ist genug Licht, und sie hat die Röcke ein wenig angehoben, damit sie nicht schmutzig werden. Ich kann niedrige Ziegenlederstiefel sehen.«
»Kannst du ihr Haar erkennen?«
»Undeutlich.«
»Welche Farbe hat es?«
»Im Mondschein sieht es ganz hell aus. Gelb oder weiß. Ich kann es nicht unterscheiden.«
»Wie trägt sie es?«
Wieder schien Ned verblüfft. »Sie trägt es im Nacken geknotet.«
»Was möchte die Dame von dir?«
»Ich soll vor Claremont Lane Nummer sieben Posten beziehen und die Frau mit dem roten Haar beobachten, die dort wohnt. Wenn sie aus dem Haus geht, soll ich ihr folgen, bis ich sie irgendwo allein erwische. Ich soll sie mit dem Messer bedrohen und sagen, dass ich zurückkommen und ihr die Kehle von einem Ohr zum anderen aufschlitzen werde, wenn sie mit ihren Fragen nicht aufhört.«
Tobias trat einen Schritt näher. Lavinia gab ihm mit einem Kopfschütteln zu verstehen, er solle ruhig bleiben.
»Würdest du das tun, Sweet Ned?«, fragte sie sanft. »Würdest du einer Frau die Kehle durchschneiden,
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