Lawinenexpreß
die Crew schlief in einem nahe gelegenen Gebäude.
Die Maxim Gorkij, die in der Rheinmündung beigedreht hatte, mußte jetzt schwere Sturzseen hinnehmen. Trotz seiner Größe machten dem 17000-Tonner die Brecher schwer zu schaffen, und der Kapitän des Schiffs, Josef Morow, wurde zunehmend zorniger, als er in der privaten Atmosphäre seiner Kabine mit Kommissar Rykin die Lage erörterte.
»Indem Sie mich zwingen, hierzubleiben, gefährden Sie das Schiff und die gesamte Mannschaft«, brüllte er.
»Meine Befehle bleiben unverändert«, entgegnete Rykin kalt.
»Sie reden wie ein dressierter Papagei!« Morow übersah Rykins kalten Gesichtsausdruck und tobte weiter. »Ich habe schon einen Mann der Besatzung bei dem Versuch verloren, einen dieser Irren aufzunehmen, die mit Barkassen und Motorbooten zu uns kommen…«
»Diese Irren sind einige der wichtigsten Bürger der Sowjetunion. Wir haben schon mehr als einhundert Männer gerettet – Spitzenagenten, deren Ausbildung Jahre gekostet hat, die Elite unseres Untergrundapparats…«
»Und wie lange dauert es wohl, ein Besatzungsmitglied meines Schiffs auszubilden?« fragte Morow wütend. »Wir drehen in einer der schlimmsten Seen bei, die ich je erlebt habe.«
»Ich habe gedacht, Sie seien ein fähiger Kapitän«, schnaubte Rykin. »Sie werden doch wohl mit so einem Sturm fertig werden…«
»Das fällt nicht in Ihren Verantwortungsbereich«, konterte Morow wütend. »Sie sitzen nur auf Ihrem dicken Hintern herum und verlangen dann den ganzen Ruhm für sich, falls wir jemals nach Leningrad zurückkehren sollten. Nicht daß ich auch nur einen Pfifferling für diesen Ruhm gäbe«, fuhr er fort. »Und seien Sie bloß nicht so gleichmütig – es ist schon vorgekommen, daß Schiffe kentern.«
»Sie übertreiben«, erwiderte Rykin, aber jetzt lag ein Anflug von Nervosität in seiner Stimme.
»Sehen Sie mal aus dem Bullauge«, befahl ihm Morow.
Rykin hielt sich an den Möbeln fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, ging zum Bullauge und zog den Vorhang beiseite. In diesem Augenblick schoß ein gigantischer, schaumgekrönter grüner Brecher auf das Bullauge zu. Rykin zuckte zusammen, als dieses Ungeheuer das Schiff traf, das Bullauge verdunkelte und ihn quer durch die Kabine schleuderte. Er lag noch immer auf dem Fußboden, als Morow plötzlich über ihm stand und etwas sagte, was ihn bis ins Mark erschreckte.
»Sie scheinen auch vergessen zu haben, daß wir ursprünglich nach Angola fahren sollten – und was dieses Schiff geladen hat.«
Es war der Hinweis auf die Ladung, die Rykin solche Angst machte. Die Maxim Gorkij, ursprünglich nach dem kommunistischen Staat Angola in Afrika unterwegs, transportierte in ihren Laderäumen Waffen und Munition für Guerilla-Streitkräfte im südlichen Afrika einschließlich zweitausend Tonnen Gelatinedynamit und Anfytol. Als Rykin sich wieder aufrappelte, wußte er, daß er auf einer schwimmenden Sprengladung stand.
25. Maxim Gorkij
Um 6 Uhr 15 verließ der Atlantik-Expreß Köln und fuhr dann in westlicher Richtung nach Aachen; die Umleitung würde dann über Brüssel nach Amsterdam führen. Im letzten Schlafwagen saß Elsa Lang mit Marenkow und Julian Haller zusammen, wobei sie mit verschiedenen Variationen der Skizze experimentierte, die sie von Scharpinsky angefertigt hatte. Sie arbeitete nach dem nach Marenkows Beschreibung hergestellten Original und strichelte jetzt immer neue Bilder des KGB-Obersten hin – Scharpinsky mit Bart, mit Schnurrbart, glatt rasiert und mit randloser Brille.
»Was soll diese Kritzelei?« fragte Haller gereizt. Er hatte sich nachts geweigert zu schlafen und befand sich jetzt am Rande der totalen Erschöpfung.
»Der General sagt, Scharpinsky sei ein Verkleidungskünstler«, erwiderte Elsa ungerührt und strichelte weiter. »Wir sind alle ziemlich sicher, daß Scharpinsky in Zürich zugestiegen ist. Es kann doch sein, daß eine dieser Skizzen irgendeinem Mann, der in diesem Zug sitzt, ähnelt…«
»Du machst dir vielleicht Hoffnungen«, sagte Haller.
»Ich bin nur hartnäckig, Schildkröte«, entgegnete sie und benutzte dabei Hallers Spitznamen. »Du steckst den Kopf heraus – und jetzt tue ich es, denn früher oder später werde ich ihn entdecken…«
Sie machte noch immer neue Skizzen, als sie in der Grenzstadt Aachen ankamen, in der Hauptmann Wander den belgischen Abwehrleuten übergab. »Sichere Reise nach Schiphol«, wünschte der Deutsche, als er Harry
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