Lawinenexpreß
half, die übergroße sowjetische Macht auf Abstand zu halten. In Belgrad machte sich niemand Illusionen darüber, daß Jugoslawien durchaus das nächste Angriffsziel der Roten Armee werden könnte – nach einer Besetzung Rumäniens, dessen unabhängige politische Führung die Absichten des russischen Bären mit dem gleichen Argwohn verfolgte.
Es herrschte sehr schlechtes Flugwetter – Blindflug durch ganz Jugoslawien –, und ohne die Hilfe von Sefers Radarstationen, die Wargrave sicher zur rumänischen Grenze geleiteten, hätte er es wohl nicht geschafft. Neben ihm saß Elsa Lang und studierte ihre Karte. Sie versuchte ständig, den Erdboden auszumachen. Dabei gab sie sich den Anschein, als wäre das alles selbstverständlich. Während der ersten Flugstunde hatte der ansehnliche Scotch, den sie kurz vor dem An-Bord-Gehen getrunken hatte, geholfen, aber die Flugzeit nach Bukarest betrug drei Stunden, und der leicht anästhetisierende Effekt des Getränks war inzwischen längst verflogen.
»Zumindest sieht es so aus, als hätten wir unseren Flug geheimhalten können«, sagte sie einmal.
Elsa wäre sicher weniger gleichmütig gewesen, hätte sie Zeuge einer Szene werden können, die sich kurz nach ihrem Start vom Mailänder Flughafen abgespielt hatte: Im Tower beklagte sich plötzlich einer der Fluglotsen, Toni Morosi, ein Mann mit einem bleichen Gesicht, über Magenkrämpfe. Man erlaubte ihm, seinen Platz am Tower zu verlassen. Statt zum Waschraum zu gehen, begab sich der angeblich kranke Morosi zu einer Telefonzelle und wählte eine Nummer in Mailand an. Am anderen Ende der Leitung wurde sofort der Hörer angenommen.
»Hier Russo«, sagte Toni Morosi schnell. »Eine private Hawker-Siddeley, eine Düsenmaschine, ist um sieben Uhr dreißig mit östlichem Kurs gestartet…«
»Was ist daran auffällig?« verlangte die düstere Stimme zu wissen.
»Die Maschine ist den ganzen Freitag in einem besonderen Hangar bereitgehalten und von Sicherheitspolizei schwer bewacht worden…«
»Wer war an Bord?«
»Keine Ahnung…«
»Halten Sie mich auf dem laufenden.«
Am anderen Ende wurde aufgelegt. Morosi wischte sich die Stirn und eilte zum Waschraum; er setzte sich einige Minuten auf einen Toilettensitz und begab sich dann zurück in den Tower. Der Mann in einer Mailänder Garage, der Morosis Meldung angenommen hatte, chiffrierte sie später und gab die Information in einem Funkspruch weiter, den er mit einem starken Sendegerät nach Moskau übermittelte. Weil er der Nachricht keine besondere Bedeutung beimaß, ließ er sich mit der Übermittlung des Funkspruchs Zeit.
»Da fließt der Argesch…«
Elsa blickte aus dem Fenster auf die rumänische Ebene, durch die sich der Fluß schlängelte, und suchte die Orientierungshilfen der Landschaft auf ihrer Karte. Die Maschine flog jetzt in fünfzehnhundert Meter Höhe, und in der vergangenen halben Stunde hatte sie eine Orientierungshilfe nach der anderen geortet. Sie hatten Glück gehabt; nach dem Überfliegen der jugoslawischen Grenze, als sie außer Reichweite der Radarstationen Stane Sefers waren, hatte sich der Himmel aufgeklart. Die Ebene unter ihnen war eine weiße Landschaft, aber es schneite wenigstens nicht mehr in diesem Teil des Balkans.
»Wir müssen bald dasein«, erwiderte Wargrave. »Halte bitte Ausschau nach dem Landestrahl.«
Es war kurz vor 11 Uhr 30 Bukarester Zeit – eine Stunde später als in Mailand –, und als sie sich der rumänischen Hauptstadt näherten, spürte Elsa, wie ihre Nerven immer mehr durcheinandergerieten. Sie warf Wargrave einen Blick zu. Er zeigte gespannte Aufmerksamkeit, wirkte aber ruhig. Er spürte ihren Blick und lächelte beruhigend. »Nicht jedes Mädchen bekommt einen Flug zum Balkan geboten – und das noch bei vollen Spesen…«
»Paß lieber auf jetzt«, erwiderte Elsa.
Hinter ihnen befand sich eine geräumige Kabine, in der bis zu sechs Fluggäste bequem untergebracht werden konnten, und Wargrave kam der Verdacht, daß durchaus mehr als nur ein Passagier an Bord kommen könnte – Anatolij Sarubin war verheiratet und hatte eine Tochter, und es schien unwahrscheinlich, daß er seine Familie zurücklassen würde. Die Dinge, die Elsa jetzt von dem hinteren Sitz nach vorn holte, waren weniger beruhigend als Wargraves Bemerkung. Sie legte sich das Sten-Gewehr und die Ersatzmagazine auf den Schoß, so daß der Engländer sie jederzeit erreichen konnte, und legte dann ihre eigene 38er Smith & Wesson ebenfalls
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