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Lawinenexpreß

Lawinenexpreß

Titel: Lawinenexpreß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Forbes
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der beiden Männer sich beinahe berührten.
    »Was bedeuten diese Buchstaben?« verlangte Wargrave zu wissen.
    »Angelo. Ich bin Angelo. Wir müssen sofort losfliegen. Meine Freunde gehen ein schreckliches Risiko ein – nehmen Sie mich an Bord und fliegen Sie mich hier raus. Nichts wie weg hier…«
    Inzwischen waren Gestalten in Pelzmänteln aus der fast vollständigen Dunkelheit aufgetaucht, und Wargrave war sicher, daß einer dieser Männer Ion Manescu war, der Chef der rumänischen Geheimpolizei. Seit Elsa Marenkow erkannt hatte, war kaum eine Minute vergangen, aber in dieser kurzen Zeit hatte Wargraves Gehirn fieberhaft gearbeitet und die ganze Geschichte Angelo rekapituliert. Er hätte sich selbst ohrfeigen können, weil ihm die Wahrheit nicht schon früher aufgegangen war. Er senkte die Waffe, streckte eine Hand aus und hievte den Russen an Bord. Er brauchte Elsa den Befehl gar nicht zu geben: Sie hatte schon auf den Knopf gedrückt, und die Leiter wurde surrend eingefahren. Wargrave schlug die Tür zur Kanzel zu, während Marenkow sich auf einen der vorderen Sitze fallen ließ, sich vorbeugte und etwas rief.
    »Sie befinden sich auf einem Wendeplatz, einem großen Kreis. Ziehen Sie die Maschine um hundertachtzig Grad herum und starten Sie in die Richtung, aus der Sie gekommen sind. Es sollte schnell gehen.«
    »Glauben Sie etwa, ich wollte noch zum Tee hierbleiben?«
    Es war, wie Marenkow es beschrieben hatte: Wargrave konnte den Jet langsam im Halbkreis wenden, der dann mit der Nase in die Richtung zeigte, aus der er gekommen war. Die parallel laufenden Lichterreihen lagen jetzt wieder vor ihnen. Wargrave ließ die Maschine anrollen, beschleunigte, die Begrenzungslichter verschmolzen, rasten vorüber, und dann hob die Maschine ab und gewann rasch an Höhe. Jetzt ging es nach Westen, auf die Radarstationen Stane Sefers zu, von denen er nichts zu befürchten hatte.
    Hinterher ist man immer klüger. Nur bringt einem das nichts ein. Von Anfang bis Ende hatte das Unternehmen Angelo aber die deutliche Handschrift eines Profis getragen, eines Mannes, der das Spionagegeschäft auf höchster Ebene beherrschte. Und Anatolij Sarubin, der sowjetische Minister für Handel und Außenwirtschaft, war für diese Art Arbeit nicht qualifiziert gewesen. Es ist immer genau das, was einem vor der Nasenspitze liegt, was man nicht sieht, dachte Wargrave ironisch. Er drehte sich einmal kurz um und warf Marenkow einen Blick zu; dieser starrte ihn unter seinen buschigen Augenbrauen ebenfalls an. Er hatte die Arme verschränkt, und sein Gesicht war völlig ausdruckslos. Als er wieder nach vorn blickte, fragte sich Wargrave, warum ein Mann wie Marenkow so gehandelt hatte. Er konnte keine Erklärung finden. Warum?
     
     
    Sergej Michail Loris Marenkow war zwanzig, als er 1941 in der Ukraine als Partisanenführer hinter den feindlichen Linien kämpfte. Er hatte angeborene Führungsqualitäten, und 1943 bereits war er stellvertretender Kommissar bei einer Panzereinheit in Kursk.
    Nikita Chruschtschow, ein Ukrainer wie er, hatte ihn unter seine Fittiche genommen und für seine außergewöhnlich schnelle Beförderung gesorgt. Nach Kriegsende hatte ein Talentsucher des KGB, der Marenkows Organisationsgabe, sein enzyklopädisches Gedächtnis und seine Tatkraft erkannt hatte, ihn für die Geheimpolizei angeworben.
    Marenkow brauchte eine bestimmte Seite eines Berichts nur einmal zu lesen, dann war sie für immer in sein Gedächtnis eingebrannt. Er konnte Hunderte von Namen, Adressen und Telefonnummern behalten, jede beliebige Zahl von statistischen Daten und vergaß niemals ein Gesicht oder einen Namen. Sein schneller Aufstieg auf der Leiter zur Macht wurde noch durch einen weiteren Umstand begünstigt – er schloß sich niemals irgendeiner Fraktion an, so daß ihm alle Seiten vertrauten. Dann, im Alter von fünfundvierzig Jahren, heiratete Sergej Marenkow.
    Irina Marenkow, eine schlanke, zerbrechlich wirkende Schönheit, war das genaue Gegenteil ihres Mannes. Sie hatte ein waches politisches Gespür und schon vor der Heirat begonnen, am System der Sowjetunion zu zweifeln. Die Werke Alexander Solschenizyns gaben den letzten Anstoß zu ihrer Abkehr vom Kommunismus. Sie kam zu dem Schluß, daß der Sowjetstaat ein einziger Schwindel sei, fast so etwas wie eine Militärdiktatur, die zunehmend unter dem Einfluß von Marschall Grigorij Pratschkos und seiner Anhänger im Politbüro geraten sei. Sie säte die ersten Zweifel bei ihrem

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