Lawinenexpreß
bereit. Dann – direkt vor ihnen im Halbdunkel des Wintertags – leuchteten die Begrenzungslichter der Landebahn auf.
»Achte auf das Blinkfeuer«, mahnte Wargrave.
Aufs äußerste angespannt, blickte Elsa angestrengt nach unten, während Wargrave die Maschine steil herunterzog. Was erwartete sie dort unten? Sie landeten mitten in einem kommunistischen Staat – einem Staat, der sein Mißtrauen gegenüber Moskau zwar oft genug an den Tag gelegt hatte, letztlich aber doch ein kommunistischer Staat war und blieb. »Vergiß nicht die Buchstaben AN, die Angelo sich anstecken wollte«, erinnerte sie ihn. Das war eine verdammt überflüssige Bemerkung, dachte sie; als ob er die vergessen könnte. Dann begann die Signallampe zu blinken. Dreimal lang… einmal kurz… dreimal lang…
Wargrave drosselte die Triebwerke, als ihnen die parallelen Lichterreihen entgegenflogen; ein kurzes Rumpeln, als die Maschine den Boden berührte, dann rollte der Jet aus. Wargrave bremste so stark wie möglich ab. Er wußte nicht, wie lang die Landebahn war. Die Maschine kam zum Stillstand, und Elsa blickte aus dem rechten Seitenfenster. Sie sah nichts. Mein Gott, dachte sie, jetzt möchte ich gern aufs Klo. Wargrave ließ die Triebwerke weiterlaufen und sah ebenfalls aus dem Fenster.
»Komisch, scheint niemand da zu sein…«
»Aber jemand hat die Lichter eingeschaltet…«
»Also muß jemand dasein«, stimmte Wargrave zu.
Er nahm das Sten-Gewehr, und sie griff nach dem Knauf ihrer Smith & Wesson. Allein das Halten der Waffe tröstete sie ein wenig. Was zum Teufel ging da draußen im Halbdunkel eigentlich vor? Plötzlich schaltete Wargrave den an der Nase der Maschine befindlichen Suchscheinwerfer ein. Der Lichtstrahl durchschnitt die Dunkelheit und gab den Blick auf einen Mann frei, einen kleinwüchsigen, untersetzten Mann mit breiten Schultern, der einen schweren Pelzmantel trug und barhäuptig ging.
Der Mann kam näher, ging festen Schritts auf sie zu. Er trug eine Aktentasche. Beim ersten Aufblitzen des Lichtstrahls hatte er die Hand vor die Augen gelegt, aber jetzt hatte er sie heruntergenommen und kam mit gesenktem Kopf näher. Als er schon fast bei der Maschine angekommen war, wurde sein Gesicht deutlicher, ein Gesicht mit energischem Kinn und buschigen Augenbrauen, das Elsa sofort nach den vielen Fotos erkannte, die sie von diesem Mann gesehen hatte. Sie keuchte.
»Mein Gott, Harry! Das ist eine Falle, eine gottverdammte Falle…«
Der Mann, der auf sie zukam – der jetzt fast das Flugzeug erreicht hatte –, war General Sergej Marenkow, der Chef des KGB.
8. Bukarest, Wien, Mailand
Wargrave erkannte sofort, daß es hoffnungslos war. Er würde zwar versuchen können, sofort zu starten, aber der vor ihm liegende Rest der Startbahn würde nicht ausreichen; er hatte keine Zeit, die Maschine zu wenden, und außerdem hatten die Rumänen sicher Maschinengewehre auf das Flugzeug gerichtet, vielleicht sogar kleinere Feldgeschütze in Stellung gebracht. Das würde ihn aber nicht davon abhalten, einen Versuch zu wagen. Unter Umständen wäre eine Geisel genau das Richtige, sie aus der Falle entkommen zu lassen, eine Geisel vom Rang General Marenkows. Wargrave stieß die Tür auf und wartete, bis General Marenkow unten stand und heraufblickte.
»Keine Bewegung, General«, rief Wargrave durch das Heulen der Triebwerke. Er sprach Deutsch und erwartete nicht, daß der General ihn verstand, aber die Sprache des aus kürzester Entfernung auf seinen Brustkorb gerichteten Sten-Gewehrs würde der Russe auf jeden Fall verstehen.
Marenkow machte eine winkende Handbewegung, mit der er andeuten wollte, daß die automatische Treppenleiter heruntergelassen werden sollte. Wargrave zögerte, dann gab er Elsa Anweisung, auf den Knopf zu drücken. Die elektrisch betriebene Leiter wurde ausgefahren und senkte sich auf den Boden. Marenkow bestieg sie und wollte die Kanzel erklimmen. Er hielt erst inne, als Wargrave mit dem Gewehr gestikulierte und rief: »Bleiben Sie da stehen…«
»Haben Sie keine Augen im Kopf?« schnauzte der Russe auf englisch zurück.
»Mein Gott!« flüsterte Elsa Wargrave ins Ohr. »Sein Mantelaufschlag. Um Himmels willen, sieh dir seinen Mantelaufschlag an!«
Marenkow zeigte jetzt selbst auf den rechten Mantelaufschlag, an dem zwei silberne Buchstaben befestigt waren: AN. Wargrave starrte sie bleich an. Er beugte sich aus der Kanzel. Marenkow ging einen Schritt weiter und beugte sich vor, bis die Gesichter
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