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Lawinenexpreß

Lawinenexpreß

Titel: Lawinenexpreß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Forbes
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Kopf. Sie setzte sich kerzengerade hin, hielt die Waffe auf dem Schoß und starrte auf die Wand. Haller drückte ihre Schulter, zündete eine Zigarette an und steckte sie ihr zwischen die Lippen. »Ich hasse diese verdammte Organisation«, sagte sie tonlos. Marenkow verschränkte taktvoll die Arme und schwieg, als er sich neben sie setzte. Sie haßt mich jetzt, dachte er – wenn ich in Rußland geblieben wäre, wäre der Mann, den dieses Mädchen insgeheim geliebt hat, noch am Leben.
     
     
    Nur zwei Minuten vor der Abfahrt des Atlantik-Expreß erschien ein verspäteter Reisender, der in einer Hand eine kleine Reisetasche trug und in der anderen den Stock hielt, auf den er sich beim Gehen stützte. Der einen Meter achtzig große Mann schien kleiner zu sein, als er mit geneigtem Kopf und gekrümmten Schultern vorwärtshumpelte. Er trug einen schweren Mantel aus Astrachanfell, der den Mann gewichtiger wirken ließ, als er tatsächlich war, und einen Tirolerhut mit einer kleinen roten Feder im Hutband. Sein graues Haar wirkte ungepflegt, und er blinzelte durch eine Zwei-Stärken-Brille. Trotz seines leichten Humpelns bewegte er sich mit seinem seltsam torkelnden Gang erstaunlich schnell. Phillip John, der hinter dem Fenster der geschlossenen Waggontür stand, schätzte sein Alter auf sechzig und verschwendete keinen weiteren Gedanken an ihn.
    Der Fahrgast bestieg den zweiten Schlafwagen und zeigte dem Schaffner eine Fahrkarte auf den Namen Joseph Laurier. Der Reisende wurde in ein Singleabteil geführt, das für ihn reserviert war. Laurier sprach kein Wort mit dem Schlafwagenschaffner, der kurz darauf hörte, wie die Abteiltür von innen verschlossen wurde. »Alter Griesgram«, dachte der Schaffner, als er zu seinem Platz am Ende des Waggons zurückkehrte. So einen Typ erlebte er auf jeder Fahrt.
    Eine Minute später fuhr der von einer Lok 111 mit der Achsanordnung Bo-Bo gezogene Expreß – ein Zug mit sechzehn Waggons und einem Gesamtgewicht von über siebenhundert Tonnen – unter dem riesigen Kuppeldach des Milano Centrale an, ratterte über das Gewirr der zahlreichen Weichen und beschleunigte rasch auf seiner Fahrt nach Norden. Die Bahnhofsuhr zeigte genau 17 Uhr 05.

 
     
     
TEIL DREI
     
    Lawinenexpreß

14. Chiasso, Lugano
     
     
     
    Die Waggons schwankten leicht von einer Seite zur anderen, als der Expreß bei seiner Fahrt durch die flache, schneebedeckte Poebene stetig weiter beschleunigte. In einer Stunde würde er Chiasso erreichen, den Schweizer Grenzbahnhof. In seinem Singleabteil hob Joseph Laurier, der Reisende, der den Zug als letzter bestiegen hatte, den Vorhang, um in die Nacht hinauszusehen. Die Lichter der Mailänder Vororte waren bereits verschwunden; im Schein des aufsteigenden Vollmondes sah Laurier, wie es auf die unendliche Ebene schneite. Anders als die meisten Menschen, die soeben einen Zug bestiegen haben, wirkte Laurier ruhelos.
    Er zog den Vorhang herunter, verließ sein Abteil und begann, mit seinem schlurfenden Gang nach vorn zu gehen. Er ging langsam, stützte sich am Geländer ab, um das Gleichgewicht zu halten, ging durch die beiden Schlafwagen hindurch und blickte dann in jedes Abteil, während er von Waggon zu Waggon weiterging.
    Manchmal blickten Reisende auf, als er vorüberging, aber seinem unbestimmten Blick konnte niemand entnehmen, daß er sich jeden Menschen in diesem Zug ansah. Er ging durch den Speisewagen, in dem gerade die Tische gedeckt wurden – das erste Abendessen begann um sechs –, und setzte langsam den Weg bis zum vorderen Ende des Zuges fort. Schon lange bevor der Expreß sich Chiasso näherte, hatte Laurier den ganzen Zug abgeschritten und war wieder in sein Abteil zurückgekehrt.
    Im Funkabteil am Ende des letzten Schlafwagens nahm Peter Necker den Kopfhörer ab und blickte zu Matt Leroy auf. »Ich habe Oberst Springer wieder eine Meldung geschickt, daß bis jetzt alles in Ordnung ist…«
    »In Ordnung?« Leroy starrte den gnomenhaften kleinen Deutschen an, der ein so gutes Englisch sprach. Dies war eine der Qualifikationen, die ihn befähigt hatten, seinen ehemaligen Job als mehrsprachiger Funker bei der Kriminalpolizei in Wiesbaden zu bekommen. »In Ordnung?« wiederholte Leroy. »Obwohl Harry Wargrave tot ist?«
    »Haben Sie die Leiche gesehen?« fragte Necker.
    »Um Himmels willen, nein – man hat mir nicht erlaubt, den Zug zu verlassen.«
    Der schnauzbärtige Amerikaner war irritiert. Necker war ein Freund Wargraves gewesen und hatte bei der

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