Lawinenexpreß
zu einem Militärflugplatz, der bereits benachrichtigt worden war. Und noch vor seinem plötzlichen Aufbruch hatte er neue Anweisungen erteilt.
»Ich wünsche, daß an jedem Ort, an dem der Expreß vor Zürich hält, Funkpeilwagen eingesetzt werden – in Bellinzona, Airolo, Göschenen…«
»Sie meinen, wir könnten unseren Erfolg hier in Lugano woanders wiederholen?« fühlte Horner vor.
»Scharpinsky wird erfahren müssen, was vorgeht, damit er seinen nächsten Zug planen kann. Und das bedeutet, daß ein sowjetischer Agent, der sich im Expreß befindet, in irgendeiner Form eine Nachricht übermitteln – oder durch ein Zeichen zu erkennen geben – muß, daß Marenkow noch am Leben ist. Nach dem Angriff von Vira bin ich sicher, daß in Bellinzona irgendeine Nachricht übermittelt wird.«
»Ich werde alles veranlassen…«
»Wir werden das Unternehmen ausweiten«, fuhr Springer hastig fort. »Zwischen hier und Zürich werden nur sehr wenige Reisende aussteigen. Aber wer auch immer den Zug verläßt, muß durch neutrale Polizeiwagen beschattet werden…«
»Ich werde auch das veranlassen…«
»Und sollten irgendwelche Ortsbewohner in der Nähe eines Bahnhofs herumstehen, wenn der Expreß einläuft, müssen auch die beschattet werden…«
Springer dachte an diese Instruktionen, als er seinen Wagen beschleunigte. Er wußte, daß er nicht viel Zeit hatte. Immerhin würde der Zug in Bellinzona ein wenig aufgehalten werden, denn der zerschossene Schlafwagen mit dem angehängten offenen Güterwagen mußte abgehängt werden. Dann hieß es natürlich, den Güterwagen mit dem Alouette-Hubschrauber wieder an den Expreß anzukuppeln. Und warum hatte Wargrave ihn überhaupt gebeten, den Hubschrauber mitfahren zu lassen?
Als er sich dem Flugplatz näherte, hatte Springer das Gefühl, einigen Grund zur Zufriedenheit zu haben. Er hatte gehört, daß Franco Visani, der den kommunistischen Geheimsender an der Piazza Dante bedient hatte, erkennen ließ, daß er während des Verhörs weich werden würde. »Bevor der Expreß in Basel ankommt, kann ich vielleicht den gesamten Untergrundapparat der Kommunisten aufrollen«, sagte er zu sich selbst. »Je weiter der Zug fährt, desto mehr Ratten werden aus ihren Löchern auftauchen.«
Der Militärpilot der leichten Maschine, der die Scheinwerfer von Springers Wagen hatte näher kommen sehen, ließ den Motor warmlaufen, als der Oberst ausstieg, auf das Flugzeug zulief und auf den Passagiersitz kletterte. Das mit Kufen ausgestattete Flugzeug glitt über die Piste und hob ab. Wieder sah Springer auf seine Uhr. Mit etwas Glück würde er es schaffen können.
Die Frau mit dem harten Gesicht, die einen schäbigen Mantel und einen Hut trug, stand in einer dunklen Ecke der Bahnhofshalle von Bellinzona, als der Atlantik-Expreß einlief und hielt. Am Südende des Bahnsteigs war wie in Chiasso eine große Sichtblende aus Segeltuch errichtet worden, wo man im Schutz einer ähnlichen Sichtblende den Güterwagen mit dem Alouette-Hubschrauber angekoppelt hatte. Die Sichtblende ließ die Frau unbeeindruckt – sie hielt nach etwas völlig anderem Ausschau.
Anders als sonst wurden an diesem Abend trotz der bitterkalten Nacht ungewöhnlich viele Abteilfenster geöffnet; ruhelose Reisende, die die Geschichte mit der ›Schweizer Armeeübung‹ nicht überzeugt hatte, wollten mit eigenen Augen sehen, was vorging. Die Augen der Frau wurden hellwach, als sich eine Tür öffnete und ein Reisender auf den Bahnsteig trat. Joseph Laurier, der seinen Pelzmantel anhatte und seinen Stock in der Hand hielt, begann, gemächlich auf und ab zu schlendern. Einen Augenblick später, als sich eine andere Waggontür öffnete, blickte die Frau in eine andere Richtung.
Elsa Lang, die ihren Zobelmantel und ihre Gucci-Schuhe anhatte und ihre Gucci-Handtasche eng an sich preßte, schlenderte bis zur Eingangshalle und blieb dort stehen, um sich eine Zigarette anzuzünden. Die Frau verzog den Mund, als sie die Kleidung der attraktiven blonden Dame bemerkte. Dann verließ ein anderer Fahrgast den Zug, und die Augen der Frau wandten sich nochmals ab.
Phillip John, der mit seinem eleganten Kamelhaarmantel wie ein Dressman aussah, schlenderte gleichfalls über den Bahnsteig und beobachtete dabei Elsa. Die linke Hand hatte er in die Manteltasche gesteckt. Seine rechte Hand – seine Schußhand – bewegte sich frei. Einen Augenblick später erschien Jorge Santos, der baumlange Spanier, der seine Pfeife rauchte, in
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