Lawinenexpreß
Tüchtigkeit arbeitenden Schweizer Eisenbahner schon den von Kugeln durchsiebten Schlafwagen und den Güterwagen abgekoppelt. Anschließend hatten sie die beiden Wagen auf das Nebengleis nach Locarno rangiert, sie getrennt und den Güterwagen mit dem Alouette-Hubschrauber an den Schlafwagen angehängt, in dem jetzt die Sparta-Leute saßen. Laurier bestieg den Zug, warf einen letzten Blick auf den Gotthard, schloß die Tür. Eine Minute später verließ der Atlantik-Expreß Bellinzona.
Kurz zuvor, als die Frau in dem schäbigen Mantel und mit Hut die Bahnhofshalle verließ und in den Fiat einstieg, notierte sich einer von Springers Leuten das Kennzeichen des Wagens. Als der Wagen losfuhr, gab er dem Fahrer eines vor dem Bahnhof parkenden Polizeiwagens durch Kopfschütteln ein Zeichen. Da die schneebedeckten Straßen Bellinzonas zu dieser Zeit verlassen waren, würde es unmöglich sein, den Fiat zu verfolgen, ohne entdeckt zu werden.
Nachdem er das Bahnhofsgelände verlassen hatte, fuhr der Fiat weniger als einen Kilometer und bog dann in eine offenstehende Garage ein. Die Türen wurden sofort von einem Mann geschlossen, der den Wagen bereits erwartet hatte. Der Fahrer des Fiats eilte in seine Wohnung, gefolgt von der Frau, die sich schon wieder eine Zigarette anzündete – sie war Kettenraucherin. Dann öffnete der Mann das im Fernseher versteckte Sendegerät und begann, einen von zwei schon vorbereiteten Funksprüchen zu senden. Anders als sein Kollege in Lugano, der Bankangestellte Franco Visani, beendete der Fahrer des Fiat seinen Funkspruch in weniger als zwei Minuten – die patrouillierenden Funkpeilwagen konnten den Standort des Senders folglich nicht ermitteln.
Weniger als eine Stunde später – anhand des Kennzeichens war die Wohnung des Fahrers ermittelt worden – war das Paar festgenommen. Es wurde sofort einem intensiven Verhör unterzogen. Man verweigerte den beiden jegliche Nahrung; nur Wasser wurde ihnen erlaubt. Vor allem aber durften beide nicht rauchen – und da wurde die Frau als erste weich. Danach wurden achtzehn Männer und Frauen, die Sabotagegruppe der Kommunisten im Raum Bellinzona, festgenommen. Das geschah aber erst sechzehn Stunden später. Der entscheidende Faktor war der nach Zürich übermittelte Funkspruch.
16. Zürich, Andermatt
Um 19 Uhr 45 erhielt General Traber in Zürich einen Funkspruch, in dem ihm mitgeteilt wurde, der Atlantik-Expreß habe soeben Bellinzona verlassen. Er gab die Nachricht an seinen Assistenten Major Kurt Dobler weiter, der im selben Raum an einem zweiten Schreibtisch saß. Dobler, ein wachsamer Mann von vierzig mit einem hageren Gesicht und einem langen Unterkiefer, der ihm ein fuchsähnliches Aussehen verlieh, stand von seinem Schreibtisch auf und trug die Zeit auf einer Wandkarte neben Bellinzona ein.
»Irgendwelche neue Entwicklungen bezüglich der Fluggäste aus Wien, die mit Flug 433 gekommen sind?« fragte er.
Seit dem so tragisch unterbrochenen Anruf Leo Skoblins aus Wien hatte Traber persönlich die Leitung der Suche nach Oberst Igor Scharpinsky übernommen. Immerhin hatte Skoblin noch sagen können, das Krokodil – Scharpinsky – sei nach Zürich unterwegs. Der Abwehrchef hielt seinen Füllhalter über die Passagierliste, schüttelte dann aber den Kopf.
»Wir haben die meisten aufgespürt, und sie scheinen echt zu sein. Ich habe soeben gehört, daß dieser Heinz Golchack das Hotel verläßt und abreist.«
»War das nicht dieser österreichische Fluggast, der die Reiseroute geändert hat?«
»Genau der. Wir haben den Taxifahrer gefunden, der ihn vom Flughafen in die Stadt gefahren hat. Golchack hat ihn anscheinend gebeten, ihn ins Baur-au-Lac zu fahren, sich dann aber entschlossen, statt dessen mit der Bahn nach Bonn zu fahren. Das erschien mir seltsam, so daß ich Lorenz in Wien angerufen und ihn um einen Gefallen gebeten habe. Er ist mir weiß Gott einen Gefallen schuldig gewesen.«
»Was ist dabei rausgekommen?« fragte Dobler.
»Lorenz hat sich als kooperativer erwiesen, als ich erhoffen konnte. Er ging mit einigen seiner Abwehrleute in die Wohnung Golchacks, verschaffte sich Zutritt und durchsuchte sie. Golchack war zwar nicht da, aber sie fanden einen Zettel mit dem Aufdruck der Swissair, auf dem die Flugzeit des Fluges 433 notiert war. Das wär’s also…«
Mit einem resignierten Ausdruck nahm der füllige Schweizer seinen Füllhalter und strich einen der wenigen noch verbliebenen Namen auf der Liste aus,
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