Lawinenexpreß
leiten. Davon bin ich überzeugt…«
»Wird gemacht…«
»Und setzen Sie zwei dieser Wagen in der Nähe des Hauptbahnhofs ein«, fuhr Springer fort. »In Lugano hat es geklappt, und vielleicht klappt es auch in Zürich. Ist übrigens von Wargraves Agenten in Andermatt irgendeine Nachricht eingegangen?«
»Leider nein.«
Zehn Minuten später parkte einer von Trabers Funkpeilwagen in einer Nebenstraße direkt unter dem im ersten Stock gelegenen Restaurant des Hotels Schweizerhof.
Weniger als drei Stunden zuvor, als Anna Markos neben ihrem geparkten Renault stand und durch den Feldstecher das Bauernhaus beobachtete, sagte ihr das plötzliche Zuziehen des Vorhangs, daß man auf sie aufmerksam geworden war. Daß Robert Frey den Vorhang zugezogen hatte, konnte sie nicht wissen. Sie stieg wieder in ihren Wagen ein und fuhr die kurze Strecke nach Andermatt zurück; sie wendete in der schmalen Straße und ließ den Renault an einer Stelle stehen, die man vom Bauernhaus aus wahrscheinlich nicht einsehen konnte. Dann ging sie zu Fuß zum Stadtrand zurück und wartete.
Sie trug ihre Skijacke und enge Skihosen. Der eisige Ostwind schnitt wie ein Messer durch die pelzverbrämte Kapuze. Aber Anna hatte die schneidend kalten Athener Winter überstanden, und Griechenland ist den sibirischen Winden näher als Andermatt. Sie trat näher an das letzte Haus Andermatts heran und setzte die Beobachtung des in der Ferne liegenden Bauernhauses fort. Sie sah auf die Uhr. 17 Uhr 30. Der Atlantik-Expreß mußte jetzt irgendwo zwischen Mailand und Chiasso sein. Dann hörte sie das Geräusch, auf das sie gewartet hatte.
Das Schwirren des Hubschraubers war in der kalten Nacht zwar nur schwach, aber dennoch deutlich zu hören; wie schon bei früheren Gelegenheiten um diese Uhrzeit stellte sie auch diesmal fest, wie schnell Freys Männer den Hubschrauber aus der Scheune geholt hatten, in der die Maschine untergebracht war. Sie hob ihren einäugigen Feldstecher an die Augen und sah die sausenden Rotorblätter, als der Sikorsky-Hubschrauber aufstieg. Sie folgte mit dem Fernglas den Lichtern des Hubschraubers. Den Rumpf konnte sie in dem Schneetreiben nur noch verschwommen wahrnehmen.
Der Hubschrauber flog direkt durchs Tal auf sie zu, wobei er ständig an Höhe gewann. Andermatt überflog er in einer Höhe von eintausend Fuß, als er seinen Flug nach Osten in Richtung auf den Gotthard und den majestätischen Wasserhorngipfel fortsetzte. Robert Frey würde später zurückkehren, um sich in das allabendliche Getümmel des Apres-Ski zu stürzen, aber im Augenblick ging er ernsteren Verpflichtungen nach. Er mußte die allgemeine Lawinenlage prüfen, bevor er seinen Routinebericht nach Davos schickte.
Anna Markos wischte sich den Schnee von ihrem Anzug ab und kletterte wieder hinters Lenkrad ihres Renaults. Sie hatte den Motor laufen lassen; bei Temperaturen wie diesen dauerte es sonst oft fünf Minuten, bis die verdammte Kiste ansprang. Sie fuhr mit hoher Geschwindigkeit über die leere Straße unten im Tal und bog hinter den dichtgedrängt stehenden Gebäuden des Bauernhofs ab, die dunkel dalagen. Nirgendwo war ein Licht zu sehen. Sie ging ein Risiko ein, aber wenn eine Wache zurückgelassen worden war, würde sie sagen, sie habe Frey besuchen wollen.
An der Rückseite des Bauernhauses fand sie eine Glastür. Sie stieß ihre behandschuhte Hand gegen eine der kleinen Scheiben und fühlte dann vorsichtig hinein. Sie war überrascht, den Schlüssel im Schloß zu finden; wäre es nicht so gewesen, hätte sie die Nachschlüssel in der Tasche benutzt. Es war kein amateurhaftes Vorgehen gewesen, daß Anna zunächst die Scheibe zerbrochen hatte; sie wollte, daß man später ihren Einbruch entdeckte.
Sie untersuchte das Innere des Hauses mit Hilfe einer Taschenlampe und ging von einem Zimmer ins nächste, bis sie Robert Freys Arbeitszimmer betrat, den Raum auf der Westseite, von dem aus Emil Platow, Freys Helfer, sie vorhin durch sein Nachtglas beobachtet hatte. Hier verweilte sie länger.
Der große, längliche Raum maß etwa fünf mal sieben Meter; der gebohnerte Parkettboden war mit kostbaren Perserteppichen belegt. In einer Ecke, auf einem Stahltisch, stand das Sendegerät, mit dem Frey seine Meldungen ans Lawineninstitut von Davos übermittelte. Sie las einige Worte, die auf einem Vordruck neben dem Sendegerät notiert waren. Langsam wachsende Schneedecke auf dem Wasserhorn. Bis jetzt noch keinerlei Anzeichen dafür, daß sich eine
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