Lawinenexpreß
Frey stürzte sich mit seinem mächtigen Leib auf sie, warf sie im hinteren Teil der Kabine auf den Rücken und sich selbst hinterher, so daß sie hilflos unter ihm lag. Mit der rechten Hand packte er ihre Kehle und drückte zu.
Elsa, die sich unter Freys Rumpf kaum rühren konnte, tastete mit der rechten Hand über den Kabinenboden, spürte den Greifhaken, packte ihn und legte ihn um Freys kräftigen Hals. Als er die Spitze gegen die Kehle drücken fühlte, ließ er sie überrascht los. Halb erstickt und mit zornblitzenden Augen schrie ihn auf französisch an. »Runter, lassen Sie mich los, oder ich reiße Ihnen die Kehle auf…«
Frey bekam Angst – und das nicht nur, weil die Spitze des Hakens ihm an der Kehle saß. Der Ausdruck in den Augen des Mädchens war schrecklich. Sie würde es tun. Er wußte, daß sie es tun würde. »Stehen Sie langsam auf – sehr langsam, rate ich Ihnen«, zischte Elsa durch die Zähne. Frey rappelte sich auf. Elsa kam sofort nach ihm hoch, hielt den Haken aber weiter an seiner Kehle. Dann spürte Frey, wie ihm der Lauf einer Pistole hart in den Rücken gepreßt wurde, und er hörte die Stimme Max Bruders.
»Eine falsche Bewegung, und ich werde Ihr Rückgrat zertrümmern…«
Innerhalb von zwei Minuten hatten sie Frey die Hände auf dem Rücken festgebunden und ihn gefesselt. Elsa, die ihm seine 22er Pistole aus dem Ärmel gezerrt hatte, ging nicht sehr sanft vor, als sie die letzten Knoten zuband. Anschließend rollte sie ihn in den hinteren Teil der Kabine. Sie ließ ihn mit dem Gesicht nach oben liegen, damit er atmen konnte. Bevor sie ihn verließ, bückte sie sich und drohte ihm mit dem Greifhaken. »Ein Piepser von Ihnen, und ich benutze dieses Ding. Verstanden?«
Wargrave hatte den Hubschrauber bereits in einem Halbkreis herumgezogen und flog jetzt mit hoher Geschwindigkeit durchs Gotthardtal auf den Expreß zu. Zu diesem Zeitpunkt ahnte er noch nicht, daß er den wichtigsten Sabotageagenten der Sowjets in der Schweiz gefangengenommen hatte; er wußte auch nicht, daß Oberst Springer, der die Meldung von Bruder erhalten hatte, schon zwei eilige Funksprüche nach Andermatt und General Traber in Zürich geschickt hatte. Schon nach wenigen Stunden waren Streifenwagen selbst in so weit voneinander entfernten Städten wie Genf und Lugano unterwegs; die Beamten hatten Listen mit allen Freunden und Bekannten Freys bei sich, von denen man wußte. Sie klopften mitten in der Nacht an viele Türen und holten die Leute zu intensiven Verhören aus den Betten. In weniger als fünf Tagen war der gesamte Sabotagering Freys zerschlagen. Im Augenblick jedoch hatte Wargrave nichts anderes im Kopf als die gewaltige Lawine, die immer weiter zu Tal schoß, als der Atlantik-Expreß die Steigung hinauffuhr.
19. Die Lawine
Robert Frey war ein brillanter Organisator, der es für richtig hielt, sich gegen die Möglichkeit zu sichern, daß sich selbst die allerbesten Pläne zerschlagen. Und das Unternehmen zur Zerstörung des Atlantik-Expreß – dem für den Ernstfall vorgesehenen Plan zur Blockierung des Gotthards entnommen – hing nicht zuletzt vom exakten Timing ab. Der Zug mußte zur genau rechten Zeit am rechten Ort sein, um von der vollen Wucht der Lawine getroffen zu werden, die Frey auf dem Wasserhorn ausgelöst hatte.
Folglich hatte er an der Bahnlinie in regelmäßigen Abständen einzelne Mitglieder seiner ausgedehnten Sabotageorganisation postiert – und zwar immer an Stellen, an denen der Zug wegen der starken Steigung langsamer fahren mußte. Frey hatte den wahrscheinlichen Verlauf der Lawine sorgfältig berechnet und herausgefunden, welcher Streckenabschnitt getroffen werden würde. Es war unerläßlich, daß der Expreß sich in diesem Streckenabschnitt befand, wenn die Lawine im Tal ankam. Und weil diese Männer Freys einzeln postiert waren und zudem weit voneinander entfernt standen, hatte Wargrave sie bei seinem Flug nicht ausmachen können.
Als Oberst Springer aus Wargraves Hubschrauber die erste Lawinenwarnung erhielt, reagierte er mit gewohnter Energie und Entschlußfreudigkeit. In dem Abteil neben dem, in dem Haller und Marenkow saßen, beugte er sich zusammen mit seinem Assistenten Jürgen Thall über eine Karte. »Da ist das Wasserhorn.« Er zog einen Kreis um einen Streckenabschnitt. »Wenn die Lawine den Schienstrang erreicht, dann vermutlich irgendwo in diesem Kreis…«
»Und im Augenblick befinden wir uns etwa in der Mitte«, betonte Thall.
»Ein wenig
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