Lazyboy
gewesen.«
»Komisch«, sage ich. »Wie sich die Dinge verändern. Ich ziehe meinen imaginären Hut vor der feinen Ironie des Lebens.«
»Häh?«
»Früher«, sage ich, »in deinem Alter und dann eigentlich fortgesetzt bis heute, bis gerade eben, wollte ich niemals, auf keinen Fall verlässlich und erwachsen sein. Ich musste es unbedingt verhindern. Ich hatte panische Angst davor. Ich dachte immer, gleich, im nächsten Moment passiert es. Du machst den einen verkehrten Schritt und bist für immer verloren. Irgendwie schien es mir das Schlimmste, was passieren konnte. Erwachsenwerden. Erwachsensein. Ich hatte da überhaupt keine positiven Bilder. Habe ich im Grunde heute noch nicht. Ich dachte wirklich, dann hört alles auf. Ich sah mich seelenlos auf dem Rasenmähertraktor sitzen, Runde um Runde um Runde auf dem moosdurchsetzten Rasen drehen, die Terrassentür zum kreditfinanzierten Eigenheim angelehnt offen, und man hört den ganzen Tag den Säugling brüllen. Die Frau sitzt drinnen mit hängenden Mundwinkeln, unzufrieden mit sich selbst und dem Leben, vor allem aber mit mir, weil ich nicht genug bin, weil ich sie nicht restlos glücklich mache und weil ich überhaupt nicht weiß, wie das geht, so ein Leben. Keinen Willen, keine Ziele. Die totale Entfremdung.«
»Klingt irgendwie abtörnend«, sagt Daphne.
»Ich hatte immer dieses Bild von einem Lichtschalter, diese altmodische Variante. So einen, den du mit Kraftaufwand drehen musst. Dann macht es laut Klack!, und das Licht ist aus. Kennst du so was? Bei meiner Großmutter gab es die. Ich dachte, jeden Augenblick passiert es und jemand dreht mir klackend das Licht aus. Dann sitze ich im Dunkel steif da im gestärkten Hemd mit zu enger Krawatte. Und muss eine Banklehre machen. Ich hatte richtig körperliche Angst. Ich spürte, dass ich fliehen, dass ich mich verstecken musste vor dem ernsthaften Leben. Und das ist mir in den folgenden Jahren ja auch ganz gut gelungen.«
»Hattest du in keiner Phase den Wunsch, möglichst schnell erwachsen zu werden, damit sie dich alle in Ruhe lassen und du machen kannst, was du willst?«
»Nee, nie. Du?«
»Irgendwie schon, komisch.«
»Ja, komisch«, sage ich.
»Was soll denn so toll daran sein, Kind zu bleiben?«
»Na ja«, sage ich, »Kindsein, das bedeutet doch, das Leben als Abenteuer zu nehmen. Zu wissen, dass es größere Zusammenhänge gibt. Dass alles mehr bedeutet. Dass es nicht auf das reduziert werden darf, was man Alltag nennt, sondern groß und schön ist, eine Herausforderung, der verrückte Traum von einem beseelten Ball, der durch ein perfekt choreografiertes Nichts saust und auf dem sprachbegabte Tiere turnen.«
»Ich glaube, du geheimnist da zu viel hinein in die Kindheit. Ich erinnere mich noch lebhaft, wie beschissen ich mich oft als Kind gefühlt habe. Wie viel Angst ich ständig vor allem möglichen hatte. Wie oft ich mich abgrundtief gelangweilt habe. Wie alleine ich oft gewesen bin.«
»Echt?«
»Klar.«
»Ach so«, sage ich. »Hm.«
»Und jetzt?«, fragt sie. »Ist das jetzt anders bei dir? Jetzt willst du plötzlich auf einmal erwachsen sein, oder wie?«
»Na ja«, sage ich. »Ich schätze mal, ich bin erwachsen, oder?«
Daphne mustert mich skeptisch.
»Ich stelle halt mehr und mehr fest, dass der Lichtschalter nie umgelegt wurde. Ich glaube nicht mehr an den Lichtschalter. Da ist kein Schalter. Und eine Banklehre muss ich wohl auch nicht mehr machen, schätze ich.«
»Andererseits«, sagt sie, »stimmt schon. Werd mal nicht zu erwachsen. Du solltest das auch nicht überschätzen. Flucht und Verweigerung sind heutzutage ja eigentlich das angemessenste Statement, das einer oder eine geben kann. Was ist schon groß die Alternative dazu, ein verspäteter Idiot in Turnschuhen zu sein wie du?«
Ich schaue Daphne an.
»Bleib so, wie du bist«, sagt sie, »bleib golden, Ponyboy.«
»Lazyboy«, sage ich.
»Bleib das mal, Heiner.«
Wir sehen uns an und grinsen.
»Kacke«, sage ich. »Es ist so. Ich bin echt der Lazyboy. Ich steige nicht über die Wand, von der es heißt, dass sie unbezwingbar sei, weil mir die Herausforderung zu groß scheint. Stattdessen quäle ich mich ewig durch die endlosen Weiten der Einöde, was letzten Endes viel länger dauert und anstrengender ist. Es ist dumm, aber so bin ich.«
Irgendwann öffnet sich die Tür der Hütte, von außen lugt die Dämmerung zu uns hinein, man bringt uns unser Abendessen.
»Und?«, fragt Daphne.
»Noch nichts«, sagt der große
Weitere Kostenlose Bücher