Lazyboy
gefangen.«
»Hm«, mache ich.
Wir sitzen da, und mir fällt auf, dass die Stille irgendwie unnatürlich ist. Warum habe ich noch nie ein Tier rufen hören?
Ich betrachte das schwarze, im Licht funkelnde Wasser, das der Wand entgegenfließt. Dann bemerke ich etwas, das von großer Bedeutung für mich ist. Ich sehe es, ich folge ihm mit Blicken, ein ferner Gruß aus der Vergangenheit. Es treibt einfach so auf den Wellen der Beek an mir vorbei. Vielleicht der wichtigste Moment meines Lebens.
Ich sage: »Kannst du mich bitte zum Lehrer bringen.«
»Bitte?«, fragt sie.
»Ich würde gerne mit dem Lehrer sprechen.«
»Ich habe dich doch nicht befreit, damit du jetzt zum Lehrer zurückrennst und dich einsperren lässt. Ich will, dass du verschwindest, dass du dein Leben lebst.«
Sie sieht mich aus zusammengekniffenen Augen an.
»Ich habe die Lösung«, sage ich, »für eure und für meine Probleme, ich bin gerade darauf gekommen. Ich bin der Mittler, ich kann nicht einfach davonlaufen. Ich habe hier eine Aufgabe zu lösen.«
»Bist du sicher?«, fragt sie.
»Absolut«, sage ich und nicke absolut überzeugend. Ich springe auf die Füße.
»Triff mich an der Wand«, sage ich. »In einer halben Stunde. Sag dem Lehrer und so vielen Leuten wie möglich Bescheid, ich möchte einen Vorschlag machen.«
Daniela blickt mich stumm und ernst an.
Ich sage: »Weißt du, wo der Fluss entspringt?«
Sie schüttelt den Kopf. »Nicht wirklich. Wenn man am Ufer entlanggeht, kommt man in die Einöde, wie du weißt. Der Fluss kommt aus der Einöde.«
»Ja, und dann? Vorher? Irgendwo muss er doch entspringen.«
»Keine Ahnung«, sagt sie.
»Hm«, sage ich und lächele grimmig.
Am Ufer des Beeksees im Schatten der Wand ist ein großer Kreis mit Fackeln flackernd in die Nacht gesteckt. Der Lehrer erscheint als hohe, schimmernde Gestalt mit glühenden Augen. Der Bürgermeister steht neben ihm und funkelt mich abschätzig an. Immer mehr Beeker finden sich ein, in Pyjamas, Nachthemden und Pantoffeln, sogar einige Nachtmützen sehe ich.
»Ich habe einen Vorschlag zu machen«, sage ich und trete in den Kreis.
Misstrauische Augenpaare blicken mich an, der Lehrer, der Bürgermeister, Daphne, Daniela. Der Typ mit der Keule in der Armbeuge ist ebenfalls gezwungen, einen Schritt nach vorne zu machen, da er das Seil hält, mit dem meine Arme auf den Rücken gebunden sind.
Eben noch schlenderte ich alleine durch die Stadt und sah der Stille dabei zu, wie sie sich durch die Gassen drückte. Gerade eben noch ging ich über den sandigen Platz, auf dem die Kinder bei Tag Fußball spielen. Ich passierte einen Holzschuppen, aus dessen geöffneter Schiebtür es nach Kardamom roch.
Alleine stand ich vor der Wand und schaute dieses Gegenüber an, diesen Feind, der für mich gemacht zu sein scheint. Das nächtliche Licht schimmerte auf dem grauen Putz, hier und dort leuchtete ein Kiesel auf, als handele es sich um eine geheime Leuchtschrift, und ich schien immer ganz kurz davor, sie zu entziffern. Ich legte meine Hand auf die Wand. Ich legte meine Wange an die Wand. So fand mich Daniela, die mit dem Lehrer im Schlepptau am Treffpunkt erschienen war.
»Ich schlage vor, eine Expedition auszurüsten«, sage ich nun.
Ich wende mich an den Lehrer und komme mir vor wie Kolumbus.
Ich sage: »Wir müssen den Verlauf der Beek erforschen, um die wirklichen Grenzen dieser Welt zu erfahren.«
»Pah«, höre ich jemanden aus der zweiten Reihe sagen.
»So ein Unsinn«, fügt eine weibliche Stimme hinzu.
»Ich bin der Mittler«, sage ich, »und als solcher sage ich, dass wir dem Fluss bis an sein Ende oder seinen Anfang folgen müssen, um alle Probleme Beeks zu lösen.«
Man blickt mich skeptisch an.
»Er will sich schon wieder aus dem Staub machen«, sagt jemand. Die Bemerkung wird mit höhnischem Gelächter quittiert.
»Was genau schlagen Sie vor? Ich glaube, ich habe es noch nicht verstanden«, sagt der Lehrer streng.
Ich sage: »Eine Gruppe erforscht den Flusslauf in die eine, die andere Gruppe wendet sich in die andere Richtung. Wir folgen dem Flusslauf so weit es geht ins Ungewisse.«
»Wozu soll das gut sein?«, fragt der Bürgermeister. »Wir wissen ja, dass es nicht geht. Das haben ausreichend tapfere Beeker erfahren. Wir können nicht durch die Einöde gehen, sie bezwingt unsere Körper und unsere Willen.«
»Nicht unter unserer Führung«, sage ich, »unter Daphnes und meiner. Wir sind die Mittler. Wir sind von außen, aus einer anderen
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