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Lazyboy

Lazyboy

Titel: Lazyboy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Weins
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bislang nicht nachgedacht, ein Planungsfehler.
    »Warten Sie auf die Wiedervereinigung«, rufe ich. »Es gibt hier einen guten Bäcker. Drücken Sie uns die Daumen!«
    Er sieht nicht glücklich aus, wie er dort mit hängenden Armen allmählich kleiner wird.
    Wir tasten uns hinein in diese immer gleiche Landschaft. In alle Richtungen bis zum Horizont gelbliches Gras, Moose, hie und da Büsche, und alle paar Kilometer eine einzelne, mickrig gekrümmte Birke. Immer zu unserer Rechten der Bachlauf, der wie zum Hohn vor sich hin plätschert. Keine Tiere, keine Vögel am Himmel, kein Zeichen von Leben bis auf die Bewegung des Baches, die in ihrer Gleichförmigkeit etwas unmenschlich Konstantes und Mechanisches hat.
    Nach und nach bleiben sie zurück, die tapferen Beeker. Auch ich selbst spüre, wie die Einöde an meinem Willen herumsägt. Es wird schwerer, die Füße zu heben und vorwärtszusetzen, alle Gliedmaßen kribbeln und nehmen von Augenblick zu Augenblick an Gewicht zu. Die Hände baumeln am Körper herab wie geschwollen, Pendel aus Teig, der Kopf fühlt sich an wie mit Mehl gefüllt. Der Mund ist trocken. Bei jedem Schritt gedeiht das Wissen, dass es augenblicklich leichter würde, man freier atmen könnte, würde man sich zurückwenden in die andere Richtung, gen Beek. Alle Last würde einem augenblicklich von den Schultern genommen.
    Seil um Seil wird abgerollt und an das vorige geknotet.
    Seilrolle um Seilrolle wird resigniert von einer Schulter gehoben und über die nächste gehievt.
    Irgendwann, wir sind noch zu acht, ein kleiner Mann mit einer Brille, dick wie ein Daumen, und ein kräftiger, wie ein Athlet wirkender Mann, haben uns gerade verlassen, wird es dunkel über der Einöde. Wir schlagen unser Lager am Rande des Flusses auf. Im Dämmerlicht helfen wir uns gegenseitig beim Aufbau der Zweimannzelte, schieben gemeinsam die Stangen durch die passenden Ösen, ziehen die Schnüre stramm und schlagen die Heringe in den trockenen Boden. Der Lehrer besteht darauf, mit mir ein Zelt zu teilen, großes Vertrauen wird er wohl nicht mehr entwickeln. Ich blicke beim Hantieren am Zelt wehmütig zu Daniela hinüber, die gerade ihre Schlafmatte ausrollt und sie mit unbeteiligtem Gesicht zu einem dicken, schnaufenden Beeker ins Zelt schiebt. Ich lege meinen Schlafsack auf meiner Matte zurecht und frage den Lehrer, der im Zelteingang hockt und so etwas wie einen Kompass betrachtet: »Was wissen Sie über die Einöde? Wie lange, glauben Sie, werden wir unterwegs sein?«
    Der Lehrer schaut mich nachdenklich an.
    »Wir wissen sehr wenig«, sagt er. »Diejenigen, die einen Ausflug gewagt haben, gaben sehr unterschiedliche Berichte zu Protokoll. Einer behauptete, Wochen unterwegs gewesen zu sein, ein anderer konnte schon nach wenigen Stunden nicht weiter. Es gab natürlich welche, die erst nach Monaten nach Beek zurückkehrten und von Städten aus Gold oder riesigen Bergen, von Begegnungen mit fremden Wesen fabulierten, aber am Ende stellte sich doch heraus, dass sie gar nichts gesehen hatten, was wir heute nicht auch schon gesehen haben, Gräser und Büsche, dass sie einfach wochenlang in der Einöde kampiert hatten, um sich anschließend wichtigzumachen. Und es gab natürlich auch welche, die niemals zurückgekehrt sind. Wir können nur spekulieren, was aus ihnen geworden ist. Vielleicht haben sie tatsächlich einen Ausgang gefunden, vielleicht aber haben sie sich auch schlicht verlaufen, haben den Weg zurück nicht gefunden. Als kleiner Junge habe ich übrigens selbst einmal so eine Expedition unternommen. Ich wollte weg.«
    »Ja?«, frage ich.
    »Ja, es gab damals noch nicht einmal die Wand, und ich habe es trotzdem nicht mehr ausgehalten, diese Enge, diese Gleichförmigkeit.«
    »Und – wie weit sind Sie gekommen?«
    »Ich weiß es nicht, ich bin gelaufen, so weit ich konnte, ich wollte nicht klein beigeben.«
    Ich betrachte den Lehrer und frage mich, ob jeder Beeker so eine Geschichte zu erzählen hat, ob es hier zur Sozialisation gehört, dass man einmal brennend wegwollte und alleine in die Einöde aufbrach und scheiterte und zurückkehrte mit hängendem Kopf.
    »Es wurde mehrfach Tag und Nacht, aber ich kann Ihnen nicht sagen, wie oft, es war, als wäre alles Zählen in der Einöde unmöglich geworden. In einer Nacht dann schlief ich nicht, sondern lief gegen den Widerstand in meinem Körper an, kämpfte mich Schritt für Schritt weiter, als ich in der Ferne ein goldenes Brennen, ein vielfarbiges Feuer wahrnahm.

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