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Lazyboy

Lazyboy

Titel: Lazyboy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Weins
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Luft. Ich lächele einmal ermutigend in die Runde. »Das wird schon«, sage ich.
    Dann ziehe ich den schwer Atmenden über die angefrorene Gänsescheiße gegen den Widerstand hinein in die Tür. Wir tauchen gemeinsam ins Nichts, es geht ganz leicht, ich bin selbst ein wenig erleichtert.
    Nach und nach führe ich meine Gruppe durch die Tür in der Wand auf die andere Seite hinüber. Die ersten Passanten, denen wir drüben begegnen, tun so, als würden sie uns nicht bemerken, dabei müssen wir einen sonderbaren Anblick bieten. Eine Gruppe von 20 Fremden mit großen, runden Augen, eingeschüchtert und von heiligem Staunen ergriffen, die mit Seilen bepackt in der Stadt anrücken wie zu einer Eroberung oder einer Bergbesteigung.
    »Den kenne ich, glaube ich«, raunt ein Mitglied meiner Gruppe.
    »Ich auch, ich auch«, echot ein anderer Seilträger, aufgeregt wie Kinder vor der Weihnachtsbescherung.
    »Weitergehen, weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen«, singe ich vor mich hin.
    Der Lehrer inspiziert einen aus hochwertigem Kunststoff gefertigten Abfalleimer. »Ich hatte fast schon vergessen, wie es hier aussieht, es ist so schön«, sagt er mit einem Gesicht, in dem sich die Größe seiner Erfahrung spiegelt. »Können wir nicht doch rasch ein paar alte Freunde besuchen?«
    Ich bilde mir ein, sein Herz neben mir überlaut und deutlich schlagen zu hören. Ich blicke mich mit seinen Augen um, sehe die harmonischen Villenanlagen, die breiten Straßen, Alleen, Boulevards und weiß, was er meint. Ich lächele ihm zu, er ist mir jetzt fast wieder sympathisch.
    »Später«, sage ich. »Alles zu seiner Zeit.«
    Daniela zieht mich am Arm zur Seite.
    »Kann ich dich kurz unter vier Augen sprechen?«
    Wir gehen ein paar Schritte von den anderen weg, treten unter die Zweige eines Haselnussbaumes, der vor einer kleinen, eierschalenweiß gestrichenen Villa mit tiefgrünen Fensterläden wächst.
    »Hattest du nicht gesagt, die Leute wären dir vor Freude um den Hals gefallen? Mir scheint es nicht so, als wären sie über unser Kommen sonderlich begeistert, sie gucken uns ja gar nicht richtig an.«
    »Stimmt«, sage ich, »ich weiß auch nicht, was los ist.«
    Daniela schaut mich mit leiser Melancholie in den Augen an.
    »Sie sind ein sonderbares Volk, die hiesigen Beeker«, sage ich, als wäre ich in der Stadt aufgewachsen und nicht sie. »Sie haben eine sehr eigene Art, ihre Gefühle zu zeigen, sie zeigen sie nicht so mir nichts, dir nichts. Man muss in ihnen lesen können.«
    »Du hast mich angelogen«, sagt sie sanft. »Nicht jede Lüge wird dadurch besser, dass man in guter Absicht lügt. Verstehst du das?«
    »Ich weiß nicht«, sage ich.
    »Ach, Lazyboy.« Daniela seufzt.
    Es gelingt mir also auch in dieser Welt, die Frauen vor Enttäuschung seufzen zu lassen.
    Am Rande der Einöde knote ich das erste Seil an einen stabil wirkenden Maulbeerbaum. Ich prüfe den Knoten, er scheint mir solide. Die letzten Häuser sind am Horizont auszumachen, Büsche und vereinzelte Bäume trennen uns von ihnen. Ungefähr hier muss es gewesen sein, wo ich seinerzeit die andere Monika traf. Ich bin nicht der Versuchung erlegen, einen Abstecher zu ihr zu machen, eine plötzliche Erkrankung vorzutäuschen. Obwohl ich natürlich mit dem Gedanken gespielt habe. Ein beunruhigender Gedanke, dass sie sich irgendwo hier in meiner unmittelbaren Nähe bewegt, während meine Monika irgendwo ohne Bewusstsein liegt.
    Ich rolle das erste Seil ab. Rechts von uns fließt die Beek, Erlen beugen sich über den Bachlauf und lassen Blätter wie gelbe Flöße in die Einöde treiben. »Seil!«, rufe ich. Der Lehrer reicht mir eines von seinen. Ich knote den ersten Verbindungsknoten. Bereits nach 200 Metern macht der erste Beeker schlapp. Ein Mann um die 40 in einem weiß-rot geringelten Pullover. Er bleibt plötzlich stehen und sagt: »Nein, ich kann das nicht, ich kann unmöglich weitergehen.« Seine Kameraden versuchen ihn zum Weitergehen zu überreden, ziehen an ihm wie an einem störrischen Pony, aber er rührt sich nicht mehr von der Stelle. Sein Gesicht ist erschreckend bleich, er atmet heftig, er blickt aus dunklen Augenhöhlen panisch von einem Gesicht zum anderen. Ich gebe die knappe Anweisung, seine Seile zu übernehmen und auf die verbliebenen Wanderer aufzuteilen. Kein Mitleid.
    »Was wird aus mir?«, ruft er uns hinterher, und ich weiß für einen Moment keine Antwort. Schließlich kann er nur an meiner Hand zurück auf die andere Seite. Darüber hatte ich

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