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Lazyboy

Lazyboy

Titel: Lazyboy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Weins
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Ich blieb lange stehen, um sicherzugehen, dass ich es mir nicht einbildete. Aber so lange ich auch stand, es war immer noch da, dieses unheimliche Licht, es flackerte am Horizont kontinuierlich vor sich hin.«
    »Und dann?«
    »Dann bin ich umgekehrt. Das war auch eine Frage des Willens. Ich bin noch heute sicher, dass ich physisch durchaus in der Lage gewesen wäre, weiterzugehen. Ich hatte schlicht und einfach Angst. Ich hatte Angst davor, den Ausgang zu entdecken, ein Jenseits, wenn Sie so wollen. Ich fühlte mich dieser Aufgabe nicht gewachsen. Also bin ich zurückgelaufen. Niemandem habe ich bislang davon erzählt. Ich habe mich immer geschämt, dass ich nicht stark genug für diese Herausforderung gewesen bin. Ich bin schlicht feige gewesen.«
    Der Lehrer wirft mir einen scheuen Blick zu.
    »Hm«, mache ich. »Sind Sie damals auch dem Bachlauf gefolgt?«
    »Nein, ich bin einfach so in die Einöde gewandert.«
    »Wissen Sie was«, sage ich, »als Kind wäre ich auch umgekehrt. Ich war eigentlich immer zu feige für irgendetwas.«
    Der Lehrer schnauft vor sich hin, dann sitzen wir beide stumm da und starren auf unsere Schlafsäcke. Das Abendessen wird über dem Lagerfeuer zubereitet, Bohneneintopf aus Dosen, wie es ihn in meiner Welt im Supermarkt zu kaufen gibt. Das Feuer beleuchtet die Einöde ringsum, malt unsere und die Schatten der Zelte flackernd in die Gleichförmigkeit. Daniela und ich tauschen beim Essen lange Blicke.
    Später liege ich schlaflos im Zelt neben dem vor sich hin schnarchenden Lehrer. Irgendwie rührend, dass er darauf besteht, ein Zelt mit mir zu teilen, um mich besser unter Kontrolle zu haben, und dass er mir dann trotzdem jede Gelegenheit lässt, in die Dunkelheit davonzuschleichen. Ich schaue ihn mir im Dämmer an, der unter der Zeltbahn herrscht, seine kurzen, schlafzerzausten Haare, die dicken Augäpfel, die unter den geschlossenen Lidern rotieren. Anders sieht er aus, verletzlich. Sonderbar, einem fremden Mann so nahe zu sein.
    Als ich mit der Zeit immer wacher werde statt schläfriger, taste ich mich vorsichtig aus dem Zelt. Ich trete in die Dunkelheit, die kühle Nachtluft tut gut. Im Lager ist es still bis auf ein paar Schlafgeräusche. Die Einöde liegt schwarz da. Kurz spiele ich mit dem Gedanken, so wie ich bin, in Unterhose und T-Shirt, ins Schwarz draufloszumarschieren, mit geschlossenen Augen, um endlich einmal irgendwo anzukommen, vielleicht zum Schluss über eine Kante zu treten und endlos zu fallen. Dann wende ich mich um und glaube eine Silhouette auszumachen, die am Ufer des Baches steht. Ich trete neben Daniela, ohne etwas zu sagen.
    Sie sagt: »Hallo, Fremder. Schön, dass es klappt mit unserer Verabredung.«
    Ich sage: »Ich weiß doch, was sich gehört gegenüber einer schönen Frau.«
    Ohne nachzudenken lege ich den Arm um ihre Schulter.
    Wir nehmen einander in den Arm, obwohl wir es nicht mehr wollten.
    Dann küssen wir uns, obwohl wir es nicht mehr wollten.
    Dann liegen wir miteinander im Gras am Ufer der Beek und ziehen uns die verbliebenen Kleidungsstücke von den Körpern, obwohl es das war, was ich auf keinen Fall mehr zulassen wollte. Ich weiß nicht, was es ist. Es ist sehr traurig und sehr schön. Auf eine Art und Weise tut es weh. Es brennt und reißt und zieht sich lange hin. Ich habe einen Kloß im Hals, der nicht wegzuschlucken ist. Wir schauen uns in die Augen dabei, in große, dunkle, schimmernde Monde. Irgendwann liegen wir verschwitzt da, die Geräusche der Nacht um uns herum tauchen in unsere Wirklichkeit hinein. Wir liegen im Schwarz, und ich fühle mich bitter und traurig und dabei seltsam stumpf. Werde ich mir jemals vertrauen können?
    Wir bleiben liegen, kriechen nicht zu fremden Männern in die Zelte zurück, obwohl die nächtliche Kälte unserer Zweisamkeit zu schaffen macht. Wir verbringen unsere gemeinsame Zeit dort, Arm in Arm am Ufer der Beek, und ich bin gespannt, was für Augen der Lehrer am Morgen machen wird, wenn er aus dem Zelt stolpert, panisch, weil er mich beim Aufwachen nicht vorgefunden hat.
    Es ist für alle zu spüren, als wir aufgebrochen sind, weitermarschieren, uns weiter voranschieben gegen diesen unsichtbaren Widerstand. Wir alle kämpfen dagegen an. Es ist, als sauge die Landschaft alle Energie aus uns heraus. Bei jedem Schritt, bei jeder Berührung mit dem kargen Boden, geht etwas verloren, sie verleibt sich ein wenig von uns ein, und wir bleiben leerer und blasser zurück. Die Kraft fließt aus allen Extremitäten,

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